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Blinder Rausch - Thriller

Blinder Rausch - Thriller

Titel: Blinder Rausch - Thriller
Autoren: Random House
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von den Bäumen. Die ersten Tropfen schlagen klatschend auf. Leonie versteckt sich hinter einem Gebüsch, als ihr ein Jogger entgegenkommt. Nachdem sie den Stadtpark verlassen hat, drückt sie sich in Hauseingänge, hinter Mülltonnenschränke oder geparkte Fahrzeuge, sobald Passanten auftauchen. Sie möchte nicht, dass jemand die entsetzlichen Flecken auf ihrer Kleidung von Nahem sieht und am Ende Fragen stellt, die sie selbst nicht beantworten kann. Von Ferne betrachtet, sieht alles wahrscheinlich gar nicht so schlimm aus, denn keiner der Autofahrer reagiert. Für die ist sie wohl nur ein junges Mädchen, das sich bei der Farbwahl seiner Kleidung etwas vergriffen hat. Auch sind sie vermutlich durch das drohende Unwetter abgelenkt.
    Endlich steht sie vor der holzgeschnitzten Eingangstür des Altbauhauses am Park. Noch nie hat Leonie den muffigen Geruch des Treppenflures mit den gebohnerten Holzstufen so erleichtert eingesogen wie jetzt. Sie lässt die Tür hinter sich ins Schloss fallen und lehnt sich einen Moment mit dem Rücken gegen die kühle Wand. Durch das geriffelte Türglas sieht sie, wie ein greller Blitzstrahl den Himmel zerreißt. Kurz darauf ertönt bereits ein krachender Donnerschlag. Leonie atmet auf. Glück gehabt! Da draußen geht die Welt unter, und du hast dich in Sicherheit gebracht! Das Prasseln des Regens klingt gedämpft in der kühlen Treppenhaushöhle. Die Außengeräusche sind von Vorteil, denn jetzt kann sie hoffen, den Aufstieg über die hölzerne Treppe unbemerkt bewältigen zu können. Im ersten Stock wohnt die neugierige Frau Warnecke mit ihrem Kläffer, dort muss sie geräuschlos vorbeikommen. Im zweiten Stock wohnt ihre Familie. Die schlafen noch, schließlich ist heute Samstag und Papa ist eh weg auf einer Exkursion. Das fällt ihr plötzlich ein. Langsam funktioniert mein Hirn wieder, was ein Glück, denkt sie. Sie könnte also das Meisterstück vollbringen, sich in ihr Zimmer zu schleichen, die Klamotten zu verstecken und irgendwann gegen Mittag als verschlafene Leonie zu erscheinen. Vorsichtig beginnt sie, sich auf den Treppen nach oben zu bewegen. Sie ist in diesem Haus aufgewachsen und weiß genau, welche Stufen man meiden muss, weil sie knarren. Geschafft! Sie steht mit zitternden Knien vor der Wohnungstür und spürt, wie ihre Blase drückt. Sie überlegt, ob sie sofort das Bad ansteuern oder besser erst in ihrem Zimmer verschwinden soll.
    Den Schlüssel hat sie bereits geräuschlos ins Schloss geschoben, als ihr schlagartig die Erinnerung vor Augen steht. Der Geruch des Treppenhauses, die Wohnungstür, der Schlüssel, irgendetwas davon oder alles zusammen hat wie ein Schalter gewirkt und sie weiß sofort, dass sie auf keinen Fall heute Morgen zu Hause sein darf. Ihre Geschichte gestern war eine andere gewesen. Shit, shit, denkt sie. Bis zu Hanna wird sie es nicht schaffen. Da muss sie U-Bahn fahren. Nicht mit diesen Kleidern. Außerdem muss sie aufs Klo, sofort. Sie schaut zur Treppe, die hinauf ins dritte Stockwerk führt und weiß, dass sie eine Lösung hat – wenigstens eine Zwischenlösung. Während sie sich Stufe für Stufe leise nach oben arbeitet, steigt die Erinnerung immer weiter in ihr auf. Im Grunde hat alles vor drei Wochen begonnen. Am zweiten Schultag nach den Sommerferien.

    Mit wehenden, blonden Haaren sauste Leonie die steinerne Treppe hinauf. Geschickt schlängelte sie sich zwischen den lärmenden Horden hindurch, die den Aufstieg in die oberen Stockwerke des Schulhauses trödelnd und schwätzend bewältigten. Leonie musste Zeit gewinnen, musste die absolute Sensation loswerden, bevor die Lehrerin die Klasse betrat. Hanna, ihre beste Freundin, würde längst oben am Klassenraum sein. Längst würde sie an der Wand neben der Tür lehnen und Vokabeln lernen, die sie ohnehin schon längst bis aufs letzte i-Tüpfelchen konnte. So war sie nun mal. Vielleicht war es gerade der große Gegensatz, der die beiden Freundinnen so zusammenschweißte. Leonies Gesicht glühte. Sie japste. So viel Sport war nicht ihre Sache. Im dritten Stockwerk angekommen, stieß Leonie mit Schwung die Glastür zum Flur auf und quetschte sich durch den Spalt, bevor die Tür sich endgültig geöffnet hatte. Leonie lief längst den langen Gang Richtung Klassenzimmer entlang, als die Tür gegen den Stopper knallte und beim Zurückschwingen den folgenden Schüler empfindlich traf. Der hatte mehr auf das Display seines Handys als auf die Tür geachtet. Das Gerät entglitt seinen Händen. Er
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