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Blinder Rausch - Thriller

Blinder Rausch - Thriller

Titel: Blinder Rausch - Thriller
Autoren: Random House
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geschlossenen Augen. Langsam löst sie die Arme und dreht sich vorsichtig um, ohne den Kontakt der Handflächen mit der Rinde zu verlieren. Sie lehnt sich mit dem Rücken gegen das sichere Holz und wagt es endlich, die Augen zu öffnen.
    Große Verwunderung macht sich in ihr breit. Keine Wildnis! Der Baum steht an einer Uferböschung neben einem mit braunem Kies bestreuten, gewalzten Weg. Auf der anderen Seite des Weges steht eine hölzerne Sitzbank. Über der hinteren Lehne der Bank hängt eine hellblaue Jeansjacke. Die Bank ist übersät mit Hamburger- und Pizzaverpackungen. Die Jacke ist mit Ketchup verschmiert. Unter der Bank liegen leere Trinkbecher und Flaschen. Eine Wodkaflasche ist an ihrer Form zu erkennen. Dazwischen hüpft eine laut tschilpende Schar kleiner Spatzen und streitet sich um einen Pizzarand. Der große Drahtkorb neben der Bank ist bis weit über den Rand mit Verpackungsmüll beladen. Auffallend ist ein langer Lederriemen, der sich über den Rand ringelt und der von einem braun ledernen Etwas stammt, das jemand zwischen die schmierigen Pappdeckel gestopft hat. Aus einer Verpackung ragen zwei silbern glänzende Lackabsätze heraus.
    Leonie atmet zitternd ein und aus. Tränen quellen aus ihren Augen. Ihr salziger Geschmack auf den Lippen tut gut. Die Gewissheit ist tröstend und entsetzlich zugleich: Sie ist in keinem fremden Land. Das ist der Stadtpark, der sich nicht weit von ihrem Zuhause befindet. Sie kennt diesen Weiher mit den großen Schilfhalmen und den Enten. Sie kennt diesen Baum. Sie kennt diese Bank. Nicht weit von hier ist der Spielplatz, zu dem sie mit ihren jüngeren Geschwistern geht, wenn Mama und Papa arbeiten sind. Das alles sind beruhigende Botschaften in dieser schrecklichen Situation, in die sie wie auch immer geraten ist. Leonie löst sich endlich von der rauen Rinde des Baumes, tapst mit schwankenden Schritten über den Kies zur Bank und sinkt zwischen zwei mit Käseschmier überzogenen Pappdeckeln auf die Sitzfläche. Sie greift nach der Jeansjacke und starrt fassungslos auf die verkrusteten rostbraunen Flecken, die tief in den hellblauen Stoff eingedrungen sind. Leonie schluchzt auf. Meine Jacke! Sie reißt an dem Lederriemen und zieht einen fleckigen Lederbeutel aus dem Müllkorb. Meine Tasche! Die Tränen strömen ihr übers Gesicht. Sie spürt, wie eine kraftspendende Wut in ihr aufkeimt und die Verzweiflung allmählich verdrängt. Meine Tasche! Meine Pumps! Welches Schwein hat das gemacht? Wer immer das war, der kann sich auf etwas gefasst machen! Jetzt ist es nicht mehr nur die Kälte, die sie so zittern lässt. Leonie zerrt am Reißverschluss der Tasche. Er klemmt, weil er verschmiert ist mit Mayo und diesem ekelhaften rotbraunen Ketchupbrei.
    Sie wühlt im Inhalt. Taschentücher. Kalender. Kosmetikkram. Mit jedem Teil, das sie findet, gewinnt sie wieder ein wenig von sich zurück. Großes Aufatmen. Der Wohnungsschlüssel ist da. Noch größeres Aufatmen, als sie die lederne Hülle des kleinen Gegenstandes ertastet. Das Handy ist noch da! Lebendig und warm durchströmt sie ein Gefühl tiefster Erleichterung. Ihre Schultern sinken. Sie schaut andächtig auf das Display. Es ist kurz vor 5 Uhr am Morgen. 20. August. Sie kann sich nicht erinnern, jemals in ihrem 15-jährigen Leben schon einmal so früh allein außer Haus gewesen zu sein. Gut, dass Sommer ist, sonst wäre ich wahrscheinlich in diesem elenden Sumpf erfroren.
    Sie öffnet einige SMS . Hanna schreibt: Viel spaß, hab was gut bei dir! Das war gestern Abend. 22.30 Uhr. Leo, du ratte, das wirst du mir büßen! Ih8u. Das hieß »I hate you« und stammte von Denise. 00.15 Uhr. Diese alte Schlampe. Ih8u2, dachte Leonie mit bitterem Lächeln. Wo bleibst du? bua 1 Uhr. Von Hanna mit Bitte um Antwort, die nicht gekommen war. Schnell hackt Leonie in die Tasten. Sorry, Hanna. Akku gleich leer. Hdl,cul8er. bidunowa Eine SMS um 3 Uhr. Bist du noch wach? Von Nik. Blöde Frage, denkt Leonie. Das hätte sie ihm gerne geantwortet und dass er ihr überhaupt auf den Keks geht mit seiner ständigen Fragerei. Leo, warum gehst du dahin? Leo, was machst du da? Hey, Nik, ich brauch kein Kindermädchen und schon gar keinen Bodyguard. Was ich brauch, das weißt du eh nicht. – Weiß ich ja selber manchmal nicht, ergänzt sie und fühlt sich plötzlich ganz klein. Eine Stimmung, die sie immer wütend macht. Sie hätte ihm jetzt gerne eine pampige SMS hingeknallt, doch der Akku verabschiedet sich endgültig und das Display erstirbt
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