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Blinder Passagier

Blinder Passagier

Titel: Blinder Passagier
Autoren: Patricia Cornwell
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die hier vor Anker gehen. Die einzigen amerikanischen Flaggen, die wir hier noch zu sehen bekommen, sind aus Höflichkeit gehisst worden«, fügte er mit einer Spur Enttäuschung in der Stimme hinzu.
    Ein Mann, der auf der Steuerbordseite der Euroclip stand, beobachtete uns durch ein Fernglas. Mir erschien es seltsam, dass er, so warm wie es war, ein langärmeliges Hemd und eine lange Hose trug.
    Shaw blinzelte. »Verdammt, die Sonne blendet.«
    »Was ist mit blinden Passagieren?«, fragte ich. »Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass jemand sich zwei Wochen lang auf hoher See in einem versiegelten Container versteckt.«
    »Ist mir noch nie untergekommen. Außerdem sind wir nicht der erste Anlaufhafen. Das war Chester, Pennsylvania. Die meisten Schiffe fahren von Antwerpen nach Chester und dann erst hierher und von hier wieder direkt zurück nach Antwerpen. Ein blinder Passagier würde höchstwahrscheinlich in Chester das Weite suchen, statt bis nach Richmond zu fahren. Wir sind ein unbedeutender Hafen, Dr. Scarpetta.«
    Ich sah ungläubig zu, wie Pete Marino aus dem Streifenwagen stieg, der neben meinem Mercedes parkte.
    »Letztes Jahr haben vielleicht einhundertzwanzig Hochseeschiffe und Lastkähne unseren Hafen angelaufen«, sagte Shaw.
    Marino war, seit ich ihn kannte, Detective. Ich hatte ihn noch nie in Uniform gesehen.
    »Wenn ich blinder Passagier wäre oder illegaler Einwanderer, würde ich versuchen in einem wirklich großen Hafen wie Miami oder L. A. an Land zu gehen, wo ich in der Menschenmenge untertauchen könnte.«
    Anderson kam auf uns zu, Kaugummi kauend.
    »Wir erbrechen das Siegel nur und öffnen die Container, wenn wir etwas Illegales vermuten, Drogen, nicht verzollte Waren«, fuhr Shaw fort. »Hin und wieder filzen wir ein Schiff von oben bis unten, damit die Leute ehrlich bleiben.«
    »Gott sei Dank muss ich mich nicht mehr so anziehen«, sagte Anderson, als sich Marino uns näherte, sein Auftreten großspurig und kampflustig wie immer, wenn er unsicher und besonders schlecht gelaunt war.
    »Warum trägt er Uniform?«, fragte ich sie.
    »Er wurde neu eingeteilt.«
    »Das sehe ich.«
    »Seit Deputy Chief Bray da ist, hat es eine Menge Veränderungen im Morddezernat gegeben«, sagte Anderson, als wäre sie stolz darauf.
    Ich konnte mir nicht vorstellen, warum man jemanden, der so unschätzbare Arbeit leistete, wieder Dienst in Uniform tun ließ.
    Ich fragte mich, wann das passiert war. Es kränkte mich, dass Marino mir nichts davon erzählt hatte, und ich schämte mich, dass ich es nicht selbst herausgefunden hatte. Es war Wochen, vielleicht sogar einen Monat her, seit ich zum letzten Mal mit ihm telefoniert hatte. Wann ich ihn zum letzten Mal zu einer Tasse Kaffee in mein Büro oder zu einem Abendessen zu mir nach Hause eingeladen hatte, wusste ich nicht mehr.
    »Was gibt's?«, fragte er mürrisch zur Begrüßung.
    Anderson würdigte er keines Blicks.
    »Ich bin Joe Shaw. Wie geht es Ihnen?«
    »Beschissen«, erwiderte Marino sauertöpfisch. »Anderson, haben Sie beschlossen, den Fall ganz allein zu bearbeiten? Oder wollen die anderen nichts mit Ihnen zu tun haben?«
    Sie starrte ihn zornig an, nahm den Kaugummi aus dem Mund und warf ihn weg, als hätte Marino seinen Geschmack verdorben.
    »Haben Sie vergessen, die Leute zu Ihrer kleinen Party einzuladen?«, fuhr er fort. »Herrgott noch mal!« Er schäumte vor Wut.
    »Sowas ist mir wirklich noch nicht untergekommen!«
    Ein kurzärmeliges weißes Hemd, das bis oben zugeknöpft war, und eine Ansteckkrawatte schnürten Marino die Luft ab. Sein großer Bauch kämpfte gegen eine dunkelblaue Uniformhose und einen Gürtel aus steifem Leder an, der voll bepackt war mit seiner Sig-Sauer-Pistole, Handschellen, Extramunition, Pfefferspray und dem ganzen Rest. Sein Gesicht war gerötet. Schweißperlen standen auf seiner Stirn, eine dunkle Oakley-Sonnenbrille verbarg seine Augen.
    »Du und ich müssen miteinander reden«, sagte ich.
    Ich versuchte, ihn auf die Seite zu ziehen, aber er gab nicht nach. Er holte eine Marlboro aus der Schachtel, die er immer dabei hatte.
    »Gefällt dir mein neues Outfit?«, fragte er sarkastisch. »De-puty Chief Bray war der Meinung, ich bräuchte neue Sachen.«
    »Marino, Sie werden hier nicht gebraucht«, sagte Anderson zu ihm. »Vermutlich ist es Ihnen sogar lieber, wenn niemand erfährt, dass Sie überhaupt hier waren.«
    »Für Sie immer noch Captain.« Er stieß die Worte mit Wolken von Zigarettenrauch aus. »Sie
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