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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin
Autoren: Anne Holt
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Titelbild war noch deutlich zu erkennen. Ein junger, schöner europäischer Flieger lag in seinem blauen Fliegeroverall und seinem altmodischen Lederhelm hilflos auf dem Boden, während eine Horde unsympathischer, wilder Afrikaner sich auf ihn stürzte. Das Buch hieß »Biggles auf Flügeln«. Er reichte es der atemlosen Kommissarin. Sie begriff nicht sofort.
    »Flügel«, sagte er leise. »Die Codeüberschrift auf dem Bogen, den wir in Hansa Olsens Pornofilmschachtel gefunden haben.« Sie beugte sich über seine Schulter. Vor ihm lag die gesamte Serie über das britische Fliegeras. Er hob »Biggles in Afrika« und »Biggles auf Borneo« auf.
    »Afrika und Borneo. Jacob Frøstrups Versicherungspapiere. Wie hast du das herausgefunden? Und warum gerade jetzt?«
    »Dem Schicksal sei Dank für all die tödliche Routinearbeit. Bei den langen Listen über alles, was sich in Laviks Büro befand, ist mir die Biggles-Serie aufgefallen. Ich mußte ein bißchen kichern, diese Bücher habe ich als Kind verschlungen. Wenn jeder einzelne Titel angegeben gewesen wäre, dann hätte ich es vielleicht da schon gesehen. Aber da stand einfach nur: Die Biggles-Serie. « Er strich über den ausgefransten hellblauen Buchrücken. Sein Bein tat nicht mehr weh. Karen Borg war nur noch ein fernes, schwaches Zeichen. Er konnte den Code entschlüsseln. Zweieinhalb Monate lang war er hinter Hanne Wilhelmsen hergetrottet. Jetzt war er an der Reihe.
    »Der Staatssekretär hat die gleichen Bücher. Die komplette Serie.«
    Das war eine wahre Bombe. Da lag sie vor ihnen, in Form von drei zerfledderten Jungenbüchern. Jungenbücher, die aus irgendeinem Grunde auch in einem Staatssekretärsbüro standen. Und im Büro eines lausigen toten Anwalts. Das konnte kein Zufall sein.
    Vierzig Minuten später hatten sie den Code geknackt. Drei mit unbegreiflichen Zahlenreihen gefüllte Bögen waren in drei siebenzeilige Mitteilungen verwandelt worden. Und diese Mitteilungen verrieten so gut wie alles. Über das, was sie die ganze Zeit angenommen hatten. Es handelte sich um große Mengen. Drei Lieferungen zu je hundert Gramm. Heroin. Wie erwartet. Die Buchstaben, eifrig und steil, Hanne und Håkon schrieben beide linkshändig, erzählten, wo der Stoff abgeholt und wohin er gebracht werden sollte. Sie gaben Auskunft über Preis, Menge und Qualität. Jede Nachricht endete mit einer Angabe über das Honorar des Kuriers.
    Aber nicht ein verdammter Name. Nicht eine Adresse. Die Ortsangaben waren offenbar präzise, aber wiederum kodiert. Die drei Abholadressen waren mit B-c, A-r und S-x angegeben. Die Lieferadressen lauteten FM, LS und FT. Sinnlos. Für die Polizei. Aber offenbar nicht für jene, die diese Befehle ausgeführt hatten.
    Sie waren allein in dem großen Saal. Randvolle Regale ragten stumm und abweisend an allen vier Wänden auf. Die Bücher dämpften die Akustik und erstickten alle Versuche, in dem ehrwürdigen Gebäude Krach zu schlagen. Nicht einmal die Grundschulklasse im Nachbarraum konnte die wissensschwere Ruhe stören, die in den Wänden saß.
    Hanne schlug sich in plötzlicher Erkenntnis ihrer eigenen Dummheit an die Stirn und ließ danach ihren Kopf auf die Tischplatte fallen, um das Ganze noch zu betonen. »Der Staatssekretär war an dem Tag, an dem ich niedergeschlagen worden bin, im Polizeigebäude. Weißt du nicht mehr? Der Justizminister wollte die Zellen sehen und über blinde Gewalt diskutieren. Der Staatssekretär war dabei! Ich weiß noch, daß ich sie im Hinterhof gehört habe.«
    »Aber wie kann er sich von der Gruppe fortgeschlichen haben? An denen klebte doch eine Traube von Journalisten.«
    »Kloschlüssel. Er hat wahrscheinlich ein Schlüsselbund geliehen, um aufs Klo zu gehen. Was weiß ich, jedenfalls war er da. Das kann kein Zufall gewesen sein. Das ist einfach nicht möglich.«
    Sie falteten die entzifferten Codes zusammen, brachten der Frau hinter dem riesigen Tresen die Biggles-Bücher und traten hinaus auf die Treppe. Håkon machte sich an einem Priem zu schaffen, mittlerweile war er gut im Training. Zwei Stöße mit der Zunge waren genug.
    »Wir können doch keinen verhaften, weil er Bücher im Regal hat.«
    Sie sahen einander an und prusteten los. Ihr Lachen hallte ohrenbetäubend und respektlos zwischen den strengen Säulen, die sich aus purem Abscheu vor solchem Spektakel noch weiter an die Wände zurückzuziehen schienen. Der Atem der beiden bildete in der eiskalten Luft vergängliche Nebelfetzen.
    »Das ist phantastisch.
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