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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin
Autoren: Anne Holt
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als alles gelesen und ordentlich in die ruinierte Aktentasche zurückgelegt worden war. Sie richtete einen Zeigefinger auf die Decke. Und sie meinte nicht Gott.
     
    Der Justizminister bestand darauf, noch am selben Abend eine Pressekonferenz abzuhalten. Überwachungsdienst und Nachrichtendienst hatten heftig protestiert. Es hatte ihnen nichts genutzt. Der Skandal wurde komplett, wenn die Presse herausfand, daß sie den Fall länger als einige Stunden unter Verschluß gehalten hatten. Der Skandal war ohnehin groß genug. Das umwerfende Aussehen des Ministers hatte im Laufe des Tages einen schweren Dämpfer erlitten. Seine Haut war bleicher, sein Haar strahlte nicht mehr ganz so blond. Er hörte die Pressewölfe schon hinter der Tür kläffen. Aus irgendeinem Grund hatte er die Konferenz unbedingt im Polizeigebäude abhalten wollen. »Ihr seid verdammt noch mal die einzigen, die heil aus dieser Geschichte rauskommen«, hatte er sarkastisch erklärt, als die Polizeipräsidentin vorschlug, die Presse im Regierungsgebäude zu empfangen. »Wir machen die Konferenz bei euch.« Was er nicht erwähnt hatte, war die Tatsache, daß im Regierungsviertel der reine Ausnahmezustand herrschte. Die Ministerpräsidentin hatte die Bewachung verdreifacht und der Presse gegenüber eine klassische Paranoia entwickelt. Auf diese Weise war das Polizeigebäude ein willkommener Blitzableiter.
    Er holte drei- oder viermal tief Luft, dann betrat er den großen Sitzungssaal. Polizeiadjutant Håkon Sand und Kommissarin Hanne Wilhelmsen lehnten ganz hinten im Saal an der Wand.
    »Es wird eine Freude sein zu hören, wie sie sich aus allem rausreden wollen«, sagte Hanne leise.
    »Das schaffen sie nicht.« Håkon schüttelte den Kopf und fügte hinzu: »Hier kommt niemand ohne Beulen raus. Abgesehen von uns, Hanne. Held und Heldin. Die mit den weißen Stetsonhüten.«
    »The good guys!«
    Beide grinsten übers ganze Gesicht. Håkon legte den Arm um seine Kollegin, und sie ließ es sich gefallen. Zwei uniformierte Polizisten blickten verstohlen zu ihnen herüber, aber die Gerüchte waren schon längst im Umlauf und nicht mehr spannend. Sie waren für die Meute weiter vorn im Saal so gut wie unsichtbar. Die Techniker von fünf Fernsehsendern hatten blitzschnell fünf kräftige Scheinwerfer montiert, die den hinteren Teil des Saals dunkel erscheinen ließen, während alle wichtigen Menschen am grell ausgeleuchteten Tisch saßen. Die vor drei Stunden veröffentlichte Pressemitteilung hatte alles und nichts gesagt. Keine Details, nur daß der Staatssekretär wegen ernsthafter strafbarer Vergehen verhaftet worden sei und daß die Regierung zu einer außergewöhnlichen Besprechung zusammengekommen sei.
    Die Polizeipräsidentin eröffnete die Konferenz. Die Präsidentin wirkte nervös, beherrschte sich aber. Sie hatte bereits eine Art Erklärung verfaßt, auf einigen A4-Bögen, in denen sie nun ab und zu ohne erkennbare Logik herumblätterte, vor und zurück, vor und zurück. Die Polizei hatte Grund zu der Annahme, daß der Staatssekretär im Justizministerium – vielleicht sogar als Oberhaupt – mit einer Gruppe zu tun hatte, die des illegalen Rauschgiftimportes verdächtigt wurde.
    »Auch eine Art zu sagen, daß der Kerl ein Mafiaboß ist«, flüsterte Håkon Hanne ins Ohr. »Jetzt kriegen wir die adrette juristische Version.«
    Das schockierte Getuschel verstummte augenblicklich, als die Präsidentin fortfuhr: »Zum jetzigen Zeitpunkt sieht es für uns so aus«, sagte sie und hustete diskret hinter geballter Faust, »es sieht so aus, daß die Organisation aus zwei Gruppen bestanden hat. Der verstorbene Anwalt Hans A. Olsen war für die eine zuständig, der verstorbene Anwalt Jørgen Ulf Lavik für die andere. Wir haben Grund zu der Annahme, daß der Staatssekretär beide geleitet hat. Er ist festgenommen worden und wird wegen Import und Vertrieb einer unbekannten Menge von Narkotika angeklagt werden.« Wieder räusperte sie sich.
    »Wieviel?« fragte ein Journalist.
    »Außerdem wird er des Mordes an Anwalt Hans A. Olsen bezichtigt.«
    Jetzt hätten drei Tonnen Stecknadeln zu Boden prasseln können, ohne daß irgendwer auch nur mit der Wimper gezuckt hätte. Es hagelte Fragen.
    »Hat er gestanden?«
    »Worauf beruht dieser Verdacht?«
    »Von wieviel Geld ist hier die Rede?«
    »Hat es Beschlagnahmungen gegeben?«
    Es dauerte fast zehn Minuten, bis wieder Ruhe in die Versammlung eingekehrt war. Der Kripochef schlug immer wieder auf den Tisch, die
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