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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin
Autoren: Anne Holt
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erinnere.«
    »Du erinnerst dich nicht richtig.« Håkons Nasenlöcher waren weiß vor Zorn. »Du erinnerst dich nicht richtig. Du hast aus dem Büro eines Verdächtigen in einem Verbrechensfall wichtiges Beweismaterial entfernt, und du erinnerst dich nicht richtig, wo du das gefunden hast. Na gut!« Inzwischen hatte sich um seine Nase ein weißer Kreis gebildet, sein Gesicht sah aus wie eine umgekehrte japanische Flagge. »Darf ich fragen, wann du diesen Schlüssel gefunden hast?«
    »Vor einer Weile«, antwortete Myhreng ausweichend. »Übrigens ist das hier nicht das Original. Es ist eine Kopie. Ich habe einen Abdruck von dem Schlüssel gemacht und ihn wieder hingeklebt.«
    Der Polizeiadjutant schnaufte wie ein brünstiger Stier. »Ich werde auf diese Sache zurückkommen, Fredrick, das kannst du mir glauben. Ich werde darauf zurückkommen. Jetzt kannst du deine süße Brühe mitnehmen und dich verpissen.«
    Aggressiv wies er auf die halbleere Flasche, und der Abgesandte der Presse mußte hinaus in die unbehagliche und eiskalte Adventsnacht. Gleich hinter der Tür blieb er stehen und schob den Fuß in den Spalt, um den endgültigen Kontaktabbruch zu verhindern.
    »Aber du, Sand«, fragte er vorsichtig, »ich kriege doch sicher was dafür? Das wird meine Story?«
    Zur Antwort erhielt er nichts anderes als einen gemeinen Schmerz im Zeh.

DONNERSTAG, 10. DEZEMBER
    Nach weniger als zwei Arbeitstagen hatten sie die Möglichkeiten auf eine äußerst überschaubare Anzahl von Orten reduziert. Zwei. Der eine war ein ehrbares Fitneßcenter in der Stadtmitte, der andere war ein weniger ehrbares, teureres und angebotsreicheres Studio auf St. Hanshaugen. Beide Lokalitäten waren für physische Aktivitäten geeignet, aber während die eine gesetzlich zugelassen war, betrieb die andere ihre Geschäfte mit spezialimportierten Damen aus Thailand. Es hatte seine Zeit gedauert, den Schlüsselhersteller zu finden, aber als die Polizei die richtige Firma erst einmal aufgetan hatte, dauerte es nur noch zwei Stunden, bis sie wußten, um welche Schlüssellöcher es hier gehen konnte. Im Hinblick auf Laviks ruinierten Ruf waren alle davon überzeugt, daß sie das richtige im Puff finden würden. Aber da irrten sie sich. Lavik hatte zweimal die Woche Gewichte gestemmt, was sie, wie ein genauerer Blick in ihre Unterlagen ergab, bereits wußten. Der Schrank war so klein, daß die schwarze Aktentasche kaum hineinpaßte. Sie war mit einem Ziffernschloß versehen.
    Jetzt lag sie, noch immer ungeöffnet, auf Kaldbakkens Schreibtisch im Polizeigebäude. Håkon Sand und Hanne Wilhelmsen feierten schon im voraus Weihnachten und konnten es kaum erwarten, daß das Paket geöffnet wurde.
    Der Code konnte sich gegen Kaldbakkens Schraubenzieher nicht wehren. Der guten Ordnung halber hatten sie zunächst ein Weilchen mit den sechs Löchern mit den Zahlen gespielt, sie hatten bald aufgegeben. Der Besitzer brauchte die Aktentasche nicht mehr, auch wenn sie noch ganz neu war.
    Sie kapierten alle nicht, warum er das getan hatte. Es war unbegreiflich, daß der Mann so ein Risiko eingegangen war. Die einzige logische Erklärung konnte sein, daß er gehofft hatte, bei seinem Sturz noch andere mitreißen zu können. Im Leben hatte er kaum Verwendung für diesen dicken Stapel von Dokumenten gehabt. Der mußte ein gewaltiges Sicherheitsrisiko bedeutet haben. In einem Fitneßcenter, wo er sich nicht einmal darauf hatte verlassen können, daß die Betreiber nicht nach Feierabend eine Inspektionsrunde durch die Fächer der wohlhabenden Mitglieder machten, hatte er eine genaue und vollständige Übersicht über eine Organisation gelagert, die die drei vielleicht in einem Kriminalroman erwartet hätten, aber nicht in der Realität.
    »Den Überfall auf mich hat er nicht erwähnt«, merkte Hanne Wilhelmsen an. »Das kann nur bedeuten, daß ich recht hatte. Es muß der Staatssekretär gewesen sein.«
    Hauptkommissar Kaldbakken und Polizeiadjutant Håkon Sand interessierte das kein bißchen. Und wenn der Papst persönlich eine Spritztour in den Norden unternommen hätte, um sich über eine wehrlose Frau herzumachen – sie hätten nicht mit der Wimper gezuckt. Sie brauchten fast zwei Stunden, um alles durchzusehen. Sie verschlangen Unterlagen, manche gleichzeitig, manche nacheinander. Kurze Kommentare veranlaßten sie ab und zu, einander über die Schulter zu blicken. Schließlich konnte sie nichts mehr überraschen.
    »Das muß gleich nach oben«, sagte Hanne Wilhelmsen,
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