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Blicke windwärts

Blicke windwärts

Titel: Blicke windwärts
Autoren: Ian Banks
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wissen Sie, das macht Sie höchstens vernunft- oder gefühlsbegabt, was auch immer. Das ist nicht eigentliches Leiden.«
    »Aber das hat sie getan.«
    »Ein uraltes Diskussionsthema, sagten Sie, Ms. Sippens?«
    »Ja.«
    »Uralt bedeutet schlecht?«
    »Uralt bedeutet in Verruf geraten.«
    »In Verruf geraten – durch wen?«
    »Nicht wen. Was.«
    »Nämlich?«
    »Die Statistik.«
    »Da haben wir es. Statistik. Also dann, Ziller, mein lieber Freund…«
    »Das können Sie doch wohl nicht ernst meinen.«
    »Ich glaube, sie meint es ernster als Sie, Zil.«
    »Zu leiden erniedrigt mehr als dass es adelt.«
    »Und diese Behauptung beruht ausschließlich auf der Statistik?«
    »Nein. Ich glaube, Sie werden feststellen, dass dafür auch eine moralische Intelligenz erforderlich ist.«
    »Eine Grundvoraussetzung in einer gesitteten Gesellschaft, darüber sind wir uns meiner Überzeugung nach alle einig. Nun, Ziller…«
    »Eine moralische Intelligenz, die uns alle darauf hinweist, dass alles Leiden schlecht ist.«
    »Nein. Eine moralische Intelligenz, die dazu neigt, das Leiden als schlecht anzusehen, bis es sich als etwas Gutes erweist.«
    »Aha! Dann räumen Sie also ein, dass Leiden auch etwas Gutes sein kann.«
    »Im Ausnahmefall.«
    »Ha!«
    »Oh, nett!«
    »Wie?«
    »Wussten Sie, dass das in verschiedenen Sprachen funktioniert?«
    »Was? Was funktioniert in verschiedenen Sprachen?«
    »Tersono«, sagte Ziller, der sich endlich zu der Drohne umwandte, die auf seine Schulterhöhe niedergesunken war und während der letzten Augenblicke immer näher an ihn herangekommen war, um die Aufmerksamkeit des Chelgrianers auf sich zu lenken; unterdessen war sein Aurafeld zu einem Blaugrau von höflich im Zaum gehaltener Wut verblasst.
    Mahrai Ziller, Komponist, Halb-Verfemter, Halb-Exilant, richtete sich aus der Hocke auf und balancierte auf den Hinterläufen. Sein mittleres Glied bildete eine Ablage, und er stellte seinen Drink auf der weichen pelzigen Fläche ab, während er mit den vorderen Gliedmaßen seine Weste glättete und sich die Augenbrauen kämmte. »Helfen Sie mir«, sagte er zu der Drohne. »Ich versuche, ein ernsthaftes Gespräch zu führen, und Ihre Landsmännin ergeht sich in Wortspielereien.«
    »Dann schlage ich vor, sie lassen die Sache fürs Erste auf sich beruhen, gesellen sich zu einer anderen Gruppe und hoffen, sie später in einer weniger übermütigen Stimmung anzutreffen. Haben Sie schon die Bekanntschaft von Br. Kabo Ischloear gemacht?«
    »Habe ich. Wir sind alte Bekannte. Botschafter.«
    »Zuviel der Würde, Sir«, brummte der Homomdaner. »Ich bin eher so etwas wie ein Journalist.«
    »Ja, sie nennen uns gern ›Botschafter‹, nicht wahr? Ich bin sicher, das ist als Schmeichelei gemeint.«
    »Zweifellos. Sie hegen stets nur gute Absichten.«
    »Manchmal sind ihre Absichten allerdings etwas zwiespältig«, sagte Ziller und wandte sich flüchtig der Frau zu, an die seine Worte gerichtet waren. Sie hob ihr Glas und neigte den Kopf ein klein wenig.
    »Wenn Sie beide damit fertig sind, Ihre fraglos großzügigen Gastgeber zu bemäkeln…«, sagte Tersono.
    »Sie sagten etwas von einer privaten Unterredung, nicht wahr?«, hakte Ziller nach.
    »Genau. Seien Sie nachsichtig mit einer exzentrischen Drohne.«
    »Sehr wohl.«
    »Hier entlang.«
    Die Drohne bewegte sich an der Reihe von Buffettischen vorbei zum Heck des Kahns. Ziller folgte der Maschine – auf seinem breiten Mittelglied und den beiden kräftigen Hinterbeinen in geschmeidiger Eleganz scheinbar über das glatte Deck schwebend. Der Komponist hielt immer noch sein volles Kristallglas mühelos ausgewogen in einer Hand, wie Kabo feststellte. Die andere Hand benutzte Ziller dazu, ein paar Leuten zuzuwinken, die ihm im Vorbeigehen zunickten oder ihn grüßten.
    Kabo kam sich ihm Vergleich zu ihm sehr plump vor. Er versuchte, sich zur vollen Größe aufzurichten, um weniger schwerfällig zu erscheinen, wäre jedoch beinahe mit einem sehr alten und sehr komplizierten Lampengebilde, das von der Decke hing, zusammengestoßen.
     
    Die drei saßen in der Kabine, die vom Heck des großen Kahns vorsprang, und blickten auf das tintenschwarze Wasser des Kanals hinaus. Ziller hatte sich auf einem niedrigen Tisch zusammengefaltet, Kabo hockte bequem auf Polstern am Decksboden, und Tersono ruhte in einem zierlichen und anscheinend sehr alten Flechtspansessel. Kabo kannte die Drohne Tersono seit Anbeginn der zehn Jahre, die er nun schon auf dem Masaq’-Orbital
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