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Blicke windwärts

Blicke windwärts

Titel: Blicke windwärts
Autoren: Ian Banks
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Schnee von vielen Füßen niedergetrampelt worden, deren Spur zu einem nahen Subtrans-Zugangsbau führte. Offenbar war er ein sonderbarer Kauz, weil es ihm gefiel, durch den Schnee zu stapfen. Aber schließlich wohnte er ja nicht in dieser Gebirgsstadt; dort, wo er zu Hause war, waren Schnee und Eis eine Seltenheit, deshalb war das für ihn etwas Neues.
    Kurz bevor er an Bord ging, blickte der Homomdaner hinauf zum Nachthimmel und sah einen V-förmigen Schwarm von großen, makellos weißen Vögeln, die lautlos über ihm dahinglitten, direkt über der Signaltakelage des Kahns, von der Hohen Salzsee aus ins Inland fliegend. Er beobachtete, wie sie hinter den Gebäuden verschwanden, dann strich er sich den Schnee vom Mantel, schüttelte seinen Hut ab und stieg an Bord.
     
    »Das ist wie Urlaub!«
    »Urlaub?«
    »Ja. Urlaub. Das hat früher das Gegenteil von dem bedeutet, was es heute bedeutet. So ziemlich das genaue Gegenteil.«
    »Was willst du damit sagen?«
    »He, ist das essbar?«
    »Was?«
    »Das hier.«
    »Ich weiß nicht. Beiß rein, dann wirst du schon sehen.«
    »Aber es hat ich gerade bewegt.«
    »Es hat sich bewegt? Wie, aus eigener Kraft?«
    »Ich glaube schon.«
    »Also, das ist schwierig! Wenn man von einer echten Raubtiergattung abstammt, wie unser Freund Ziller, dann lautet die instinktive Antwort wahrscheinlich ja, aber…«
    »Was war das mit ›Urlaub‹?«
    »Ziller war…«
    »… was er gesagt hat. Die gegenteilige Bedeutung. Früher war Urlaub die Zeit, in der man verreist ist.«
    »Ach, wirklich?«
    »Ja, ich kann mich erinnern, das ich so was mal gehört habe. Primitives Zeug aus dem Zeitalter der Knappheit.«
    »Die Leute mussten alle Arbeit selbst verrichten und Wohlstand für sich und die Gesellschaft schaffen, deshalb konnten sie sich nicht viel Freizeit leisten. Also arbeiteten sie, sagen wir mal, den halben Tag, an den meisten Tagen des Jahres, dann hatten sie einen bestimmten Bonus an Tagen, die sie frei nehmen konnten, nachdem sie genügend materielle Absicherung geschaffen hatten…«
    »Geld. Ein Terminus technicus.«
    »Dann nahmen sie also Freizeit und verreisten.«
    »Entschuldigung, bist du essbar?«
    »Redest du etwa mit deiner Nahrung?«
    »Ich weiß ja nicht, ob es Nahrung ist.«
    »In sehr primitiven Gesellschaftsformen gab es nicht einmal das; sie bekamen jedes Jahr nur ein paar Tage frei.«
    »Aber solche primitiven Gesellschaftsformen können ganz…«
    »Industriell auf primitivem Stand, hat er gemeint. Nimm keine Notiz von ihm. Hör auf, darin rumzustochern! Es wird blaue Flecken kriegen.«
    »Aber kann man es essen?«
    »Man kann alles essen, das man sich in den Mund stopfen und schlucken kann.«
    »Du weißt genau, was ich meine.«
    »Frag doch einfach, du Blödmann!«
    »Das habe ich ja gerade getan.«
    »Nicht es! Herrje, was ist mit deinen Drüsen los? Sollte man dich vielleicht ausrangieren? Wo ist dein Wartungschip, dein Terminal, was auch immer?«
    »Na ja, ich wollte nicht einfach…«
    »Ach, ich verstehe. Sind sie alle gleichzeitig abgehauen?«
    »Wie hätten sie das tun können? Nichts hätte mehr funktioniert, wenn sie alle gleichzeitig nichts getan hätten.«
    »Oh, natürlich.«
    »Aber es gab schon Tage, da hat nur eine Art Notbelegschaft die Infrastruktur aufrecht erhalten. Sonst haben sie ihre Freizeit abgestottert. Das ist von Ort zu Ort und von Zeit zu Zeit unterschiedlich, wie man sich denken kann.«
    »Aha.«
    »Während heute das, was wir Urlaub oder Kernzeit nennen, bedeutet, dass alle zu Hause bleiben, weil es sonst keine Zeit gäbe, in der sich alle treffen können. Man wüsste gar nicht, wer die eigenen Nachbarn sind.«
    »Ehrlich gesagt, bin ich mir auch nicht sicher, ob ich das weiß.«
    »Weil wir so unstet sind.«
    »Ein einziger großer Urlaub.«
    »Im alten Sinn.«
    »Hedonismus.«
    »Kribbelnde Beine.«
    »Kribbelnde Beine, kribbelnde Pfoten, kribbelnde Flossen, kribbelnde Fühler…«
    »Nabe, kann ich das essen?«
    »… kribbelnde Gassäcke, kribbelnde Rippen, kribbelnde Flügel, kribbelnde Weichteile…«
    »Schon gut, ich glaube, wir haben verstanden.«
    »Nabe? Hallo?«
    »… kribbelnde Greifzangen, kribbelnde Schleimzipfel, kribbelnde motorische Hüllen…«
    »Hör auf!«
    »Nabe? Melde dich! Nabe! Scheiße, mein Terminal funktioniert nicht. Oder Nabe antwortet einfach nicht.«
    »Vielleicht ist er in Urlaub.«
    »… kribbelnde Schwimmblasen, kribbelnde Muskelfalten, kribbelnde… mpf! Was ist? Steckt da was zwischen meinen
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