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Blicke windwärts

Blicke windwärts

Titel: Blicke windwärts
Autoren: Ian Banks
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auswich, die auf es gerichtet waren, und zum wartenden Schiff Wintersturm aufstieg.

 
1 Das Licht alter Fehler
     
     
    DIE KÄHNE LAGEN AUF DER Dunkelheit des stillen Kanals; ihre Umrisse waren verfälscht durch den Schnee, der auf ihren Decks zu sanften Polstern aufgehäuft war. Die waagerechten Flächen der Kanalstraßen, Piers, Poller und Hebebrücken trugen das gleiche bauschige Gewicht des Schnees; die Fenster, Balkone und Dachrinnen der hohen Gebäude, die etwas zurückgesetzt vom Kai aufragten, waren in Weiß geätzte Linien.
    Dieser Teil der Stadt war zu fast allen Zeiten ruhig, wie Kabo wusste, doch heute Nacht schien er nicht nur, sondern war tatsächlich noch ruhiger als sonst. Er hörte seine eigenen Schritte, die sich in das unberührte Weiß senkten. Jeder Schritt erzeugte ein Knirschen. Er blieb stehen und hob den Kopf, um in die Luft zu schnuppern. Sehr still. Er hatte die Stadt noch nie so lautlos erlebt. Anscheinend dämpfte der Schnee vollends die wenigen Geräusche, die es noch gab. Außerdem herrschte heute Nacht kein wahrnehmbarer Wind in Bodennähe, sodass der Kanal, auf dem sich keinerlei Verkehr bewegte, vollkommen ruhig und still dalag, ohne das Klatschen von Wellen oder das Gurgeln einer Brandung, obwohl er noch nicht zugefroren war.
    Es gab keine Lichter in der Nähe, die sich in der schwarzen Oberfläche des Kanals gespiegelt hätten, sodass er wie nicht vorhanden erschien, eine Leere, auf der die Kähne lagen. Auch das war ungewöhnlich. Die Lichter waren in der ganzen Stadt erloschen, beinahe auf der ganzen Seite dieser Welt.
    Er blickte nach oben. Der Schneefall ließ jetzt nach. Spinwärts, über dem Zentrum der Stadt und den noch weiter entfernten Bergen, rissen die Wolken auf und enthüllten einige der helleren Sterne, während das Wetter aufklarte. Eine schmale, schwach leuchtende Linie direkt über ihm – durch die langsam ziehenden Wolken blinkend – spendete etwas Licht. Er sah kein Fluggerät und kein Schiff. Selbst die Vögel der Luft waren anscheinend in ihren Nestern geblieben.
    Und es gab keine Musik. Gewöhnlich hörte man in Aquime City Musik, die von irgendwoher kam, wenn man nur aufmerksam lauschte (und er war gut darin, aufmerksam Xu lauschen). Doch heute Abend hörte er überhaupt nichts.
    Gedämpft. Das war das richtige Wort. Der Ort war gedämpft. Heute war eine seltsame, eine ziemlich düstere Nacht (›Heute Nacht tanzt man im Licht alter Fehler‹, hatte Ziller am Morgen in einem Interview gesagt, allerdings eine Spur zu genüsslich), und diese Stimmung hatte anscheinend auf die gesamte Stadt übergegriffen, auf die ganze Xaravve-Platte, sogar auf das gesamte Masaq’-Orbital.
    Und trotzdem bewirkte der Schnee zusätzlich eine ganz besondere Stille. Kabo blieb noch einen Augenblick lang stehen und überlegte, was wohl die Ursache für diese übermäßige Dämpfung sein mochte. Es war etwas, das ihm zuvor schon aufgefallen war, dem er jedoch nie genügend Aufmerksamkeit geschenkt hatte, um den Versuch zu unternehmen, es wirklich aufzuspüren. Es hatte irgendetwas mit dem Schnee an sich zu tun…
    Er blickte zu seinen Spuren in der Schneedecke auf der Kanalstraße zurück. Drei Reihen von Fußabdrücken. Er fragte sich, was ein Mensch – jeder Zweifüßer – von einer solchen Spur halten mochte. Wahrscheinlich, so vermutete er, würden sie ihnen gar nicht auffallen. Und selbst wenn, dann würden sie einfach fragen und sofort eine Erklärung bekommen. Nabe würde es ihnen sagen: das sind die Spuren unseres ehrenwerten homomdanischen Gastes, Ar Kabo Ischloear.
    Ach, es gab heutzutage einfach keine Mysterien mehr! Kabo blickte sich um, dann vollführte er schnell einen kleinen hüpfenden, klackenden Tanz, mit einer Leichtfüßigkeit, die man seinem plumpen Körper niemals zugetraut hätte. Wieder blickte er sich um und war froh, dass er – allem Anschein nach – von niemandem beobachtet wurde. Er betrachtete das Muster, das sein Tanz im Schnee hinterlassen hatte. Das war besser… Aber woran hatte er gedacht? An den Schnee, und an seine Stille.
    Ja, das war’s; er bewirkte eine Verringerung des Schalls, während man üblicherweise daran gewöhnt war, dass Witterungserscheinungen von bestimmten Geräuschen begleitet wurden: Wind seufzte oder heulte, Regen trommelte oder rauschte oder – wenn es sich um dunstigen Niederschlag handelte, der zu leicht war, um unmittelbar ein Geräusch zu erzeugen – bildete zumindest glucksende Tropfen. Doch Schnee, der ohne
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