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Blick in die Ewigkeit: Die faszinierende Nahtoderfahrung eines Neurochirurgen (German Edition)

Blick in die Ewigkeit: Die faszinierende Nahtoderfahrung eines Neurochirurgen (German Edition)

Titel: Blick in die Ewigkeit: Die faszinierende Nahtoderfahrung eines Neurochirurgen (German Edition)
Autoren: Eben Alexander
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sein.
    Und es kümmerte mich auch nicht, jedenfalls zunächst nicht. Warum sollte es auch, wo dieser Seinszustand doch der einzige war, den ich jemals gekannt hatte? Weil ich keine Erinnerung an irgendetwas Besseres hatte, störte ich mich auch nicht besonders daran, wo ich war. Ich erinnere mich zwar, erwogen zu haben, dass ich vielleicht überleben würde oder auch nicht, aber meine diesbezügliche Indifferenz gab mir nur ein umso stärkeres Gefühl der Unverwundbarkeit. Ich hatte keine Ahnung von den Regeln, die in der Welt galten, in der ich mich befand, aber ich hatte es auch nicht eilig, sie zu lernen. Warum sollte ich mir darüber Gedanken machen?
    Ich kann nicht sagen, wann genau es passiert ist, aber an einem bestimmten Punkt nahm ich einige Objekte um mich herum wahr. Sie waren ein wenig wie Wurzeln und ein wenig wie Blutgefäße in einem gewaltigen, schlammigen Mutterleib. Sie strahlten ein dunkles, schmutziges Rot aus und reichten von einem Ort ganz weit oben bis zu einem anderen Ort ebenso weit unten. Im Nachhinein betrachtet fühlte ich mich wie ein Maulwurf oder Regenwurm, der tief in der Erde vergraben ist, aber dennoch irgendwie in der Lage ist, das wirre Muster des Wurzelwerks wahrzunehmen, das ihn umgibt. Deswegen habe ich diesen Ort, als ich später daran zurückdachte, als Reich der Regenwurmperspektive bezeichnet.
    Lange Zeit vermutete ich, es habe sich dabei um eine Art Erinnerung an das gehandelt, was mein Gehirn in der Phase empfand, in der die Bakterien es zu überrennen begannen. Aber je länger ich über diese Erklärung nachdachte (und das war wieder viel, viel später), desto weniger überzeugend erschien sie mir. Denn so schwer es auch sein mag, sich das vorzustellen, wenn man nicht selbst an diesem Ort war: Mein Bewusstsein war keineswegs getrübt oder verzerrt, als ich dort war. Es war nur … eingeschränkt. Ich war kein Mensch, während ich an diesem Ort war. Ich war noch nicht einmal ein Tier. Ich war etwas, das sich vor und unterhalb von all dem befand. Ich war einfach nur ein einsamer Bewusstseinspunkt in einem zeitlosen rot-braunen Meer.
    Je länger ich jedoch an diesem Ort verweilte, desto weniger wohl fühlte ich mich dort. Zunächst war ich so tief darin eingetaucht, dass es keinen Unterschied mehr gab zwischen »mir« und dem halb gruseligen, halb vertrauten Element, das mich umgab. Aber allmählich machte dieses Gefühl der tiefen, zeit- und grenzenlosen Versenkung etwas anderem Platz: dem Gefühl, dass ich keineswegs ein Teil dieser unterirdischen Welt war, sondern vielmehr darin gefangen.
    Groteske Tiergesichter kamen blubbernd aus dem Schlamm hervor, stöhnten oder krächzten und verschwanden wieder. Ab und zu hörte ich ein dumpfes Brüllen. Manchmal wandelte sich das Brüllen in einen gedämpften, rhythmischen Singsang, der sowohl erschreckend als auch auf eigenartige Weise vertraut war – als hätte ich all diese Laute irgendwann gekannt und selbst von mir gegeben.
    Weil ich keine Erinnerung an eine frühere Existenz hatte, erstreckte sich meine Zeit in diesem Reich bis in weite, weite Fernen. Monate? Jahre? Eine Ewigkeit? Wie auch immer die Antwort lauten mochte, ich kam irgendwann an einen Punkt, wo das unheimliche, gruselige Gefühl die Oberhand über das heimelige, vertraute Gefühl bekam. Je mehr ich mich wie ein Ich zu fühlen begann – wie etwas, das von dem Kalten und Nassen und Dunklen um mich herum getrennt war –, desto hässlicher und bedrohlicher wurden die Gesichter, die aus jener Dunkelheit hervorblubberten. Das rhythmische Hämmern in der Ferne spitzte sich zu und wurde gleichzeitig intensiver. Es war der Arbeitstakt für eine Armee von koboldartigen Untertagearbeitern, die irgendeine nie endende, brutal monotone Aufgabe erfüllten. Die Bewegung um mich herum war nun weniger sichtbar und dafür spürbarer, als drängten sich tückische, wurmartige Kreaturen vorbei, die gelegentlich mit ihrer glatten oder stacheligen Haut an mir entlangstreiften.
    Dann nahm ich einen Geruch wahr: ein bisschen wie Kot, ein bisschen wie Blut, ein bisschen wie Erbrochenes. Mit anderen Worten: ein biologischer Geruch, doch es roch nach biologischem Tod, nicht nach biologischem Leben. Während meine Wahrnehmung schärfer und immer schärfer wurde, wuchs meine Panik. Wer immer oder was immer ich war, ich gehörte nicht hierher. Ich musste hier raus.
    Doch wohin?
    Noch während ich diese Frage stellte, tauchte etwas Neues über mir aus der Dunkelheit auf – etwas, das
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