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Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman
Autoren: PeP eBooks
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beobachteten die Straße. Dick hatte ein Glas dabei. Immer wieder sah er hindurch. Manchmal gab er es mir. Die Straße verlor sich als dünne Doppelreihe von Bäumen im Unendlichen. Die Alleen in Holland wirken wie optische Täuschungen, wie von Escher gemalt.
    »Lohengrin war der Herrscher von Brabant«, sagte Dick. »Das ist ganz in der Nähe. Eigentlich war er im gewissen Sinne ein Landsmann.«
    »Du bist Lohengrin«, sagte ich. »Wo ist dein Schwan?«
    »Da kommt er.« Er deutete in Richtung Straße. Dann reichte er mir das Glas. Ich sah ein Auto. Es kam herangekrochen, erst langsam wie ein schwarzer Käfer, dann immer schneller.
    Wir ließen das Dingi herab, und Dick ruderte zum Kai. Als wir anlegten, sah ich zuerst ihre wohlgeformten Beine unter dem Kaninchenfellmantel, dann ihre winkende Hand. Sie trug einen sehr unpassenden runden Hut mit Netz, das sie übers Gesicht gezogen hatte, damit er nicht fortflog. Er konnte nur aus einem Theaterfundus sein. Im Arm trug sie eine große, gut verpackte und verschnürte Rolle. Es sah wie ein Teppich aus, aber es war leicht.
    Dann saßen wir an der Bar. Das indirekte Licht ließ Ines noch schöner und jünger sein, als ich sie in Erinnerung hatte. Dick stand hinter dem Tresen und strahlte wie ein Kind. »Was darf ich euch beiden Hübschen servieren?« sagte er. Mir war alles recht. Ich fühlte mich auch so betrunken genug.
    Ehe ich zu fragen begann, sagte Dick, daß er alles mit Ines verabredet hätte. Er wolle mit ihr ein neues Leben beginnen. Keine Bücher mehr, aber wieder Fische. Das wäre eine sichere Sache. Denn Fische vergammelten schneller. »Und Sumatra?« fragte ich.
    »Bleibt ein Traum. Ich brauch ihn zur Zeit nicht. Ich werde mit Ines im Frühjahr, vor der Saison, hochfahren. Immer schön die Küste entlang bis zu den Lofoten. Was der deutsche Kaiser konnte, können wir schon lange.«
    Ines stellte sich auf den Fußring des Barhockers und küßte Dick auf die Stirn. »Du bist mein Kaiser, Schatz«, sagte sie.
    Wir schnürten das Paket auf. Es war Derbachers Kulisse von der nordnorwegischen Küste. »Du kanntest das Bild?« fragte ich. »Natürlich. Ich hab ihm die Vorlage gegeben, aus meiner Sammlung ›Küstenlinien‹. Es heißt ›Die Freiheit‹. Jetzt kommt es statt Sumatra dort an die Wand.«
    Ines erzählte, was sie alles angestellt hatte, um an das Bild zu kommen. Sie hätte es nur geschafft, weil Doktor Vielbrunn am Tag nach unserer Flucht verhaftet worden sei. Wegen Betrugs. »Er hat mit westdeutschen Grundstücksspekulanten zusammengearbeitet. Gefälschte Besitzurkunden. Volz hat ihn enttarnt.«
    »Und Schläfti? Wie geht es ihm?«
    »Schläfti ist spurlos verschwunden. Keiner weiß, wo er ist.«
    »Und Edwin?«
    »Der süße Edwin? Der ist auf Tournee. Ich glaube, in Österreich.«
     
    Dick kam auf unsere Seite. Er stellte sich hinter Ines und schob seine Hände unter ihren Mantel. »Ist dir kalt?« fragte er. Ines schnurrte. Ich trank mein Glas leer. Alten de Kuyper. Dann ging ich. Die beiden sahen mir nach. »Danke, daß du mich rausgeholt hast, Kumpel«, rief Dick. Ich drehte mich noch einmal um. Die beiden standen da, eng umschlungen. »Du hättest doch einfach abhauen können, Dick«, sagte ich. »Nein, nein, ohne dich hätte ich es nie geschafft. Die Dinge wären nicht so weit gediehen. Auch mit Ines nicht.«
    Sollte es ein Trost sein? Ich ging. Niemand hielt mich zurück. Ich kletterte in das Dingi, das im Hafenbecken dümpelte, und ruderte an Land.
    Noch vor der Dunkelheit war ich in Rotterdam. Ich kaufte mit meinem letzten Geld eine Fahrkarte nach Groningen. Kurz vor Mitternacht war ich da. Ich lief durch die mir so vertrauten Straßen. Die ersten Feuerwerkskörper explodierten, verfrühte Raketen kurvten zum Himmel. Betrunkene begrüßten lallend das neue Jahr. Das Wasser in den Grachten war glatt und schwarz wie Onyx.
    Dann stand ich vor ihrem Haus. Durch die vorhanglosen Fenster sah ich sie sitzen in ihrem Schaukelstuhl, das kleine Gesicht seitlich von einer Kerze beleuchtet. Sie hatte die Augen geschlossen. Sie hätte tot sein können, so regungslos saß sie da. Ganz entspannt, die Hände in ihrem Schoß gefaltet. Ich klopfte gegen die Scheibe, und sie reckte den Kopf. »Mutter!« rief ich. »Dein verlorener Sohn ist wieder da.« Sie konnte mich nicht hören durch das Glas. Ich wartete vor der Haustür, hörte ihre gewichtlosen Schritte, den sich drehenden Schlüssel. Die Tür ging auf. Ein Schwall von Kerzen-, Tannen- und Kuchenduft
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