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Bleischwer

Bleischwer

Titel: Bleischwer
Autoren: Christiane Wünsche
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voller Wohnwagen, gespickt mit zankenden Kindern, cellulitisgeplagten
Mamis in allzu knappen Bikinis und biertrinkenden Vätern im Qualm schwelender
Grillkohle. Sie entdeckte besagten Micha, das Faktotum, wie sie ihn heimlich
titulierte.
    Er
putzte die Außenspülen. Jule blieb einen Moment stehen und schaute auf seinen
gebeugten Rücken. Der Mann bearbeitete die Edelstahlflächen mit geballter
Kraft. Voll konzentriert. Die sehnige Hand, die den Schwamm hielt, schnellte
rhythmisch vor und zurück. Er gönnte sich keine Pause, arbeitete zügig. Jule
sah, dass er noch sieben Spülbecken vor sich hatte, drei waren schon geschafft.
Sie glänzten und blinkten im Morgenlicht.
    Langsam
setzte sie sich wieder in Bewegung. Er hatte sie nicht bemerkt. Michael war ein
seltsamer Typ, fand sie. Er gehörte zu den wenigen Neuen hier im ›Eifelwind‹.
Letztes Jahr war er noch nicht da gewesen. Schweigsam gab er sich,
unzugänglich, doch wenn man ihn freundlich grüßte, gönnte er einem ein
schüchternes Lächeln. Jule schätzte, dass er ungefähr so alt sein musste wie
sie selbst, also Mitte vierzig. Sie hatte keine Ahnung, wo Gerti und Hermann
ihn aufgetrieben hatten. Aber sie wusste, dass sie glücklich waren, ihn
eingestellt zu haben. Gerti wurde nicht müde, das immer wieder zu betonen. »Ne
echte Jlöcksfall, der Micha«, pflegte sie einzuleiten, um dann den Gästen von
den handwerklichen und gärtnerischen Fähigkeiten des Mannes vorzuschwärmen.
    Jule
bog rechts Richtung Bachlauf und Waldsaum ein und ging nun geradeaus auf ihr
Heim zu, als sie auf dem Grundstück linkerhand Leben bemerkte.
    Nanu,
waren die Odenthals etwa gekommen? Um die Jahreszeit? Mitten in der Woche? Jule
fiel erstaunt ein, dass es bereits Freitag war und dass demzufolge mal wieder
einige Tage unbemerkt an ihr vorbeigezogen waren. Sie wunderte sich, wie sehr
die Zeit verschwamm, seit sie von zu Hause fort war.
    Zu
Hause … Vor ihrem inneren Auge schwebten schnurgerade Linien, ein weiter
Horizont und graugrüne Felder mit Nebelschleiern vorbei, dazwischen
Backsteingehöfte sowie akkurate Einfamilienhäuser hinter gepflegten Vorgärten
und die Spitze eines Kirchturms; sie hörte das Dröhnen von Flugzeugmotoren
genauso wie das Heulen der Feuerwehrsirene Freitag Mittag um zwölf …
    Kurz
war die Sehnsucht nach ihrer Heimatstadt Kaarst am Niederrhein aufgeflammt,
schnell erstickte Jule sie und widmete sich wieder der Gegenwart. Der Gegenwart
eines winkenden Peter Odenthals, der gerade sein Gepäck in den brandneuen,
riesigen Luxuscaravan mit dem stabilen Wintervorzelt gebracht hatte und nun
neben seinem protzigen Landrover stand.
    »Hallo
Jule«, rief er. »Wusste gar nicht, dass ihr hier seid! So früh im Jahr? Wo
steckt denn Jörg?«
    Zack,
zielsicher hatte er den Finger in Wunde gesteckt. Allerdings guckte er dermaßen
arglos, dass Jule den Verdacht, er könne Bescheid wissen, sofort wieder
zurücknahm.
    »Ich
mache allein Urlaub. Jörg hat zu viel zu tun«, erklärte sie. »Jetzt wo Tobi als
Austauschschüler in den USA ist, bin ich ja unabhängig. Und du? Wo ist Steffi?«
    Peter
lächelte breit und kam ein paar Schritte näher. »Die besucht übers Wochenende
ihre Schwester in München. Da hab ich gedacht, zwei Tage Angeln sind genau das
Richtige. Der See ist doch nicht mehr zugefroren?«
    Die
Frage stellte er in ängstlichem Ton, und Jule durchfuhr ein neidvoller Stich.
Wenn es das größte Problem im Leben eines Peter Odenthals darstellte, dass sein
geliebter Angelsee zugefroren sein könnte, musste er wahrlich ein sorgloses
Dasein führen, dachte sie bitter, ließ sich aber nach außen hin nichts
anmerken. »Alles frei. Nur die Ränder sind ein bisschen vereist. Aber es soll
kälter werden, sagt Gerti.«
    »Ach,
wird schon klappen. Werd gleich mal mein Glück versuchen.« Wieder ließ er eine
schnurgerade Reihe weißer Zähne in dem gebräunten ebenmäßigen Gesicht sehen.
Dann wurde sein Lächeln noch eine Spur breiter. Die eisblauen Augen blitzten.
    »Was
hältst du davon, wenn ich dich mal zum Essen ausführe, vielleicht morgen Abend?
Ein bisschen Gesellschaft können wir doch beide gebrauchen, Strohwitwe und
Strohwitwer, die wir gerade sind, oder?«
    »Klar,
gute Idee.« Jule heuchelte eine Begeisterung, die sie nicht empfand. Sie war
zum Alleinsein hergekommen, nicht um Peter Odenthal die Zeit zu vertreiben und
ihm die glückliche Ehefrau Jörg Theisens vorzuspielen. »Bis dann, viel Spaß
beim Angeln. Mein Kaffee wird kalt«, sagte sie,
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