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Bleischwer

Bleischwer

Titel: Bleischwer
Autoren: Christiane Wünsche
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wackeligen Schiebetür gefunden, die den Wohn-vom Schlafbereich abtrennte.
Ebenso gab es jenseits des Wohnwagens, der hier unverrückbar seit vierzig
Jahren stand, nichts, was sie nicht in-und auswendig kannte.
    Anstelle
eines Vorzeltes wurde der uralte Doppelachser von einer Art Pavillon flankiert,
der aus dünnen, weiß gestrichenen Holzelementen bestand. Das Dach hatte ihr
Großvater vor vielen, vielen Jahren mit Teerpappe und einer Balkenkonstruktion
verstärkt, um es gegen Wind und Wetter zu schützen. Der Pavillon war im Winter
wegen der Kälte nicht als Wohnbereich nutzbar, sondern diente als Abstellfläche
für Schuhe, Gartenmöbel, Grill, Schubkarre und Krimskrams.
    Wohnwagen
und Anbau ähnelten einer kleinen Festung, die hinter Holzlattenzaun und Hecke
verborgen am Rande des Campingplatzes lag. Nach hinten wurde das zugewachsene
Grundstück vom Bachlauf begrenzt. Durch ein schief in den Angeln hängendes
Holztor gelangte man vorne auf den Schotterweg. Dieser war gesäumt von anderen
Dauer-und Saisoncampingplätzen. Jule kannte die Namen der meisten Mieter.
Viele von klein auf.
    Es gab
ihr ein Gefühl von Sicherheit, all dies zu wissen. Hier in diesem Tal bei
Steinbach in der Nordeifel fühlte sie sich heimischer und geborgener als
irgendwo sonst auf der Welt. Und genau das war der Grund, warum sie hergekommen
war. Ende Januar, als noch Schnee lag. Und jetzt war schon März.
    Sie
reckte sich, bog vorsichtig den schmerzenden Rücken durch und schob die
Wärmflasche zurück an die richtige Stelle. Der Wein hatte sie benommen gemacht,
dennoch schützte er sie nicht vor den Bildern in ihrem Kopf. Sie musste sich
vorsehen, die Gedanken nicht allzu weit schweifen zu lassen. Trotzdem sah sie
plötzlich Jörgs Blick vor sich. Wie er sie gemustert hatte, voller Abscheu, als
sei sie etwas besonders Ekelhaftes, Widerwärtiges. Sie schluckte und verdrängte
die Erinnerung. Gerade noch rechtzeitig, bevor sie zu weh tat.
    Am
besten gehe ich ins Bett, sagte sie sich. Schlafen hilft immer. Entschlossen
warf sie die Decke zur Seite und setzte sich steif auf. Sie kämpfte das
aufkommende Schwindelgefühl nieder, bevor sie in die winzige Nasszelle tappte.
     
    Der nächste Morgen empfing sie
frostig und bleischwer. Schnee lag in der Luft. Das sagte auch Gerti an der
Rezeption, wo Jule ihre Brötchen abholte. Gerti und Hermann Weyers besaßen den
Campingplatz ›Eifelwind‹, solange Jule denken konnte. Beide mussten inzwischen
um die achtzig sein. Trotzdem hatten sie sich in all den Jahren kaum verändert.
Gut, Hermann war etwas geschrumpft, und Gertis Gesicht hatte mehr Falten
geworfen; ansonsten blieben sie in Jules Augen alterslos wie eh und je.
    Gerade
jetzt lachte Gerti ihr raues Lachen, das mehr wie ein Husten klang, die
knotigen Finger ihrer Rechten umklammerten die obligatorische Zigarette. Ohne
Filter, Nikotin pur.
    »Mädche
glöv mir, dat schneit dis Johr noch bis no Ustere. Jrad hätt mer jedach, der
Fröhling kütt, do wit et noch ens richtisch kalt.« Gertis Nordeifeler Platt
schnarrte heimelig durch den kleinen Raum. Sie schaute besorgt, die wässrig
blauen Augen unter geschminkten Lidern blinzelten freundlich und der enorme
Busen bebte, während sie sprach. »Häss de noch jenoch Jas? Süs besörsch der
Micha dir noch jet. Sach nur Besched.«
    Jule
wiegelte ab. »Danke, aber die Gasflasche dürfte noch fast ein Viertel voll
sein.«
    Sie
lächelte. Gerti erinnerte sie ein wenig an ihre verstorbene Oma, der der
Stellplatz früher gehört hatte. Diese stammte zwar gebürtig aus Pommern und
nicht aus der Eifel, war aber genauso bodenständig gewesen – und
genauso fürsorglich.
    »Ich
schick dir trotzdemm der Micha ens vorbei.« Gerti nickte heftig. »Der sull
enfach ens no demm Rechte lure.«
    »Okay,
danke, Gerti. Einen schönen Tag noch.«
    Jule
schnappte sich Brötchentüte und Zeitung und verließ das Holzhaus, das neben der
Rezeption den kleinen Laden mit Lebensmitteln, Haushaltswaren und Postkarten
beherbergte. Die Kälte kroch ihr durch Jeans und Daunenjacke unter die Haut;
Nase und Wangen röteten sich in Sekundenschnelle. Der Schotter knirschte unter
den Füßen und sie musste einige gefrorene Pfützen umrunden, während sie eilig
zurück zum Stellplatz lief. Sie freute sich auf den heißen Kaffee, den sie
vorhin aufgesetzt hatte.
    Als sie
am Waschhaus und den verwaisten Stellplätzen für Touristen vorbeikam, kündeten
leere Rasenflächen mit kahlen braunen Stellen von einem fernen Sommer, der
Platz
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