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Bleischwer

Bleischwer

Titel: Bleischwer
Autoren: Christiane Wünsche
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besser.
    Nicht
zum ersten Mal überlegte sie, ob es an der Zeit war, das Handy endlich
anzustellen. War sie wieder bereit, den Kontakt mit der Außenwelt herzustellen?
Konnte sie es wagen, Jörg anzurufen? Allein bei dem Gedanken wurde ihr der Hals
eng. Besser nicht, flüsterte ihre innere Stimme. Besser noch nicht.
     
    Jule kehrte erst gegen 16 Uhr
auf den Campingplatz zurück. Atemlos, mit kalten, steifen Fingern, vom Schnee
feuchten Haaren und geröteten Wangen. Jetzt freute sie sich auf ein heißes
Getränk, das sie auftauen und die Glieder geschmeidig machen würde. Der
Neuschnee lag inzwischen daumendick, die Hecke um das Grundstück war weiß
gepudert.
    Die
Pforte stand weit auf. Irritiert hielt sie inne, dann fiel ihr das Faktotum
ein. Und richtig, da hockte ›der Micha‹ hinter dem Wohnwagen. Die Klappe,
hinter der die Gasflasche verstaut wurde, war geöffnet.
    »Hi«,
kündigte sie ihre Rückkehr an, um ihn nicht zu erschrecken. »Bin zurück.«
    Keine
Antwort. Sie trat näher und räusperte sich.
    »Hi«,
wiederholte sie, lauter diesmal. Endlich drehte der Mann den Kopf in ihre
Richtung. Sie sah sofort, dass er angetrunken war. Sein Blick wirkte leicht
verschwommen und er brauchte einen Moment, um sie zu fokussieren. Schließlich
lächelte er.
    »Hallo,
Frau Maiwald. Bin gleich fertig.« Er wandte sich wieder seiner Arbeit zu; kurz
darauf richtete er sich auf und schloss die Gasabdeckung.
    »Habe
die Flasche ausgetauscht.« Seine Aussprache war leicht verwischt. »Und den
Schlauch da.« Er wies vor sich ins weiß gesprenkelte Gras. »War schon ziemlich
porös, würde ich sagen. Da musste ein neuer her, wäre sonst bald undicht
geworden. So was kann gefährlich werden.«
    »Oh,
danke.« Überrascht sah sie ihn an. »Das war wirklich sehr nett. Gut, dass du es
repariert hast.«
    »War
wirklich dringend«, bekräftigte er mit ernster Miene. »Hab ich gern gemacht.«
    Unschlüssig
standen beide ein paar Sekunden da, bis Michael sich daran machte, Zangen und
Schraubenschlüssel zusammenzuklauben und im Werkzeugkoffer zu verstauen.
    »So,
dann bin ich mal weg. Schönen Abend noch … «
    Auf
einmal war ihr klar, dass sie ihn so nicht gehen lassen konnte. Einerseits aus
Dankbarkeit, andererseits weil sie spürte, dass es dem Mann nicht gut ging.
Keine Ahnung, wie sie darauf kam. Vielleicht weil ihr das Leid zum vertrauten
Begleiter geworden war. Seines konnte sie förmlich riechen. Also beeilte sie
sich, ihn aufzuhalten.
    »Moment
noch«, bat sie leise. »Warte bitte. Hast du Lust, mit mir drinnen etwas Warmes
zu trinken? Kekse habe ich auch … «
    Er drehte
sich zu ihr herum und musterte sie erstaunt. Seine Augen schimmerten in einer
Mischung aus Blau und Grün. Die Farbe erinnerte sie an die Glasmurmeln ihrer
Kindheit. Graublau, mit grünen Einschlüssen. Ozeanaugen. Mit einem Mal kam sie
sich total lächerlich vor. Was musste der Typ von ihr denken? Dass sie ihn
anbaggern wollte? Sie merkte, wie sie errötete.
    Seine
Antwort kam nach einer kurzen Bedenkzeit. »Okay, warum nicht?« Er nickte, doch
sein Blick blieb fragend. »Müsste mir nur gründlich die Finger waschen.«
    »Kein
Problem. Fließendes Wasser und Seife habe ich.«
     
    Wenig später wärmten sich beide
die Hände an vollen Keramikbechern. Glühwein. Würziger Weihnachtsduft füllte
das Innere des uralten Wohnwagens aus. Dabei war doch schon März. Jule spürte,
wie ihr der heiße Alkohol gut tat. Ihre Anspannung wich und machte Neugierde
Platz. Wer war dieser ernste Mann mit dem verlorenen Blick? Welche Last
schleppte er mit sich herum? Der Punsch schien zumindest seine Zunge zu
lockern. Gut.
    »Gemütlich
hast du es hier«, sagte er, und sie war froh, ihm vorhin endlich das Du
angeboten zu haben. So konnten sie sich nun auf Augenhöhe begegnen. »Ist viel
schöner als in meiner Bruchbude.«
    »Du
wohnst vorne neben der Rezeption in einem der Mobilheime, oder?«, vergewisserte
sich Jule.
    »Ja
genau. Ist ganz in Ordnung, aber noch ziemlich kahl. Hatte bis jetzt kaum Zeit,
mich besser einzurichten. Und keine Kohle.« Er zuckte mit den breiten
Schultern. »Gibt auch Wichtigeres. Musste erst mal klar kommen, weißt du. Mich
an den Job gewöhnen. War lange draußen.«
    »Arbeitslos?«
    »Mm,
genau. Ziemlich lange.« Er wich ihrem Blick aus und nahm noch einen tiefen
Schluck. »Aber Gerti und Hermann sind echt okay. Fair. Klasse Chefs.«
    Michaels
Lächeln erhellte sein ganzes Gesicht. Zum ersten Mal bemerkte Jule, was für ein
attraktiver Mann
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