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Blaues Gift - Almstädt, E: Blaues Gift

Titel: Blaues Gift - Almstädt, E: Blaues Gift
Autoren: Eva Almstädt , luebbe digital
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warten die so lange mit der Operation?« Pia nannte ihre Mutter seit ihrem fünften Lebensjahr beim Vornamen. Anfangs war das wohl mal eine Provokation gewesen, und irgendwie war es dann dabei geblieben.
    »Morgen bin ich endlich dran. Zuerst kommen die Privatpatienten, und am Sonntag operieren sie nur in Notfällen. Gestern haben Sie mir Blut abgenommen und ein paar Voruntersuchungen gemacht. Es wird schon schiefgehen, mach dir bloß keine Sorgen um mich. Ich wollte dich aus einem ganz anderen Grunde sprechen. Es geht nicht um mich, sondern um Tom.«
    Ihre Mutter sah ungewöhnlich beunruhigt aus. Wenn sie sich trotz ihrer eigenen, unklaren Situation Sorgen um ihren Sohn machte, dann hatte sie auch handfeste Gründe dafür. Oder wollte sie sich ablenken?
    »Was ist mit Tom?«, fragte Pia misstrauisch. Sofort musste sie daran denken, dass sie bezüglich des Lebens ihres Halbbruders alles andere als auf dem neuesten Stand war. Seit seiner Hochzeit mit Marlene im September hatte sie ihn gerade zwei Mal gesehen. Hatten sie und Tom überhaupt mehr als das Notwendigste miteinander gesprochen? Tom war sauer auf sie gewesen, weil sie am Abend während seiner Hochzeitsfeier einfach verschwunden war. Nicht dass das damals dem Gelingen des Festes irgendeinen Abbruch getan hätte. Aber er fühlte sich von ihr gedemütigt, und wenn er beleidigt war, so wusste Pia aus Erfahrung, konnte man eigentlich nichts anderes tun als abwarten.
    »Genauer gesagt, geht es um Marlene. Sie ist verschwunden. Freitag ist sie in die Schweiz abgeflogen, um eine Freundin zu besuchen. Sie wollte heute Nachmittag wieder hier sein, aber sie ist nicht, wie geplant, in Hamburg gelandet. Sie war auch nicht in der nächsten Maschine aus Zürich. Schließlich hat Tom bei der Freundin angerufen, die sie besuchen wollte. Dabei erfuhr dein Bruder, dass Marlene an diesem Wochenende gar nicht bei ihr gewesen ist. Sie hatte den Besuch kurzfristig vor dem geplanten Abflug abgesagt.«
    »Was sagt Marlene selbst denn dazu? Er muss sie doch irgendwie telefonisch erreichen können.«
    »Sie muss vergessen haben, den Akku ihres Mobiltelefons aufzuladen ...«
    »Und sie hat vergessen, Tom mitzuteilen, dass sich ihr Reiseziel kurzfristig geändert hat«, bemerkte Pia sarkastisch. Im Nachhinein hatte sie das Gefühl, dass sie ihrer Schwägerin nie so recht getraut hatte. Diese Erkenntnis in einem solchen Moment sprach aber nicht für ihre gute Menschenkenntnis, sondern eher dafür, dass sie generell kaum einem Menschen traute und daher selten von solchen Vorkommnissen überrascht werden konnte.
    »Pia, wir müssen Tom jetzt irgendwie helfen. Er scheint von der Tatsache, dass Marlene gar nicht bei ihrer Freundin war, völlig überrascht zu sein. Er hatte ihr sogar die Flugtickets besorgt.«
    »Aber wo ist sie stattdessen?«
    »Das ist die große Frage. Scheinbar weiß das niemand. Marlenes Eltern sind angeblich auch vollkommen ahnungslos. Die wollten eigentlich morgen in die Toskana verreisen. Nun weiß Tom nicht, was er mit Clarissa machen soll.«
    »Moment! Marlene ist ohne ihre Tochter weggeflogen und hat Tom mit ihrem Kind zu Hause gelassen? Ich hatte gedacht, sie hätte Clarissa mitgenommen!«
    »Es ist eben alles höchst sonderbar, Pia. Und ich möchte Tom so gern helfen, aber ausgerechnet jetzt liege ich in diesem verdammten Krankenhaus und kann nichts tun!«
    Anna Liebig sah verzweifelt aus, und Pia fühlte Wut auf ihre Schwägerin in sich aufsteigen. Was war los mit dieser Frau, dass sie einfach mir nichts, dir nichts verschwand? Sie hatte eine kleine Tochter und einen Ehemann, da sollte man sich die Eskapaden langsam abgewöhnt haben.
    »Glaubst du, Marlene hat eine Affäre? Dann taucht sie wahrscheinlich früher oder später mit irgendeiner fadenscheinigen Begründung wieder auf.«
    »Oder es ist ihr etwas passiert, Pia. Ich meine, du müsstest doch am besten wissen, was alles so los ist in der Welt ...«
    Es war ein gern vorgebrachtes Vorurteil ihrer Mutter, dass Pia aufgrund ihres Berufes mit allen Schlechtigkeiten der Welt vertraut war und vor allem sämtliche Verbrecher mit Kosenamen kannte. Heute war nach Pias Ansicht jedoch nicht der passende Tag, gegen diese Ansicht vorzugehen.
    »Ich weiß aber auch, dass viele Vermisste über kurz oder lang putzmunter wieder irgendwo auftauchen und gar nicht begreifen, in welche Sorgen sie ihre Angehörigen gestürzt haben. Vermisstenfälle sind eine höchst undankbare Sache. Man kann sich ziemlich in die Nesseln setzen
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