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Blaue Wunder

Blaue Wunder

Titel: Blaue Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
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bekommen hatte, die beste Note der Klasse, behauptete sie von sich selbst immer, sie sei wahnsinnig frankophil. Zum Beweis kaufte sie sich eine Langspielplatte von Charles Aznavour und machte zweimal hintereinander in der Bretagne Urlaub. Und natürlich bestand sie darauf, ihrer Tochter einen französischen Vornamen zu geben. Ein folgenschwerer Fehler, der erst auffiel, als der Pfarrer bei der Taufe den Vor- und Zunamen des armen Säuglings zum ersten Mal komplett sagte: «Ich taufe dich auf den Namen Claire Grube.»
    Ja, ja, damals habe ich mir auch die Schadenfreude nicht verkneifen können. Und heute? Heute wäre ich froh, ich hätte überhaupt einen Mann, um mit dem eine Tochter zu zeugen, die ich dann mit einem ambitionierten Vornamen verschandeln könnte. Stattdessen schaukle ich unbemannt und kinderlos durch mein Dasein. Wenn das so weitergeht, werde ich wohl Karriere machen müssen.

«Ich will kein   
lebensnahes Leben leben.  
Ich will mehr!»     
     

    Ich drücke auf G, Tiefgarage Plaza Hotel.
    24. Stock. Die Lifttüren schließen sich. Ich weiß nicht, wie ich mich fühlen soll. Also fühle ich erst einmal nichts. Ein Pärchen kommt noch schnell herein. Sie kichert und lehnt sich an ihn. Er lockert seine Krawatte. Es ist kurz nach Mitternacht.
    Das war er also, der Wolkenball. Die Nacht der Entscheidung. Ich schließe die Augen. Ich bin nicht müde.
    «Jetzt mal tief ausatmen und den Bauch einziehen», hatte Erdal gerufen und mit roher Gewalt an meinem Reißverschluss gezerrt.
    «Und was ist, wenn ich heute im Laufe des Abends auch mal wieder einatmen möchte?», hatte ich vorsichtig eingewandt. «Nix da, entweder atmen oder Größe 38!» Die Knöpfe am Rücken des blauen Kleides hatten Erdal und Maurice bereits mit vereinten Kräften schließen und dahinter den Anhänger mit dem Preisschild verbergen können: 229 Euro! Von mir aus hätte das Schild gerne auch draußen hängen können. Aber Erdal hatte mir versichert, dass dieser Preis auf dem Ball, auf den wir gehen würden, durchaus nicht zum Angeben geeignet war, weil die meisten Frauen dort Slipeinlagen tragen, die teurer sind.
    «Bauch einziehen!», rief Erdal erneut.
    «Es gibt eben Bäuche, die kann man nicht einziehen», sagte Maurice wenig schmeichelhaft.
    Der Reißverschluss über der Hüfte bereitete uns echte Schwierigkeiten.
    «Ich hab’s gleich», keuchte Erdal. Er erinnerte mich an einen Gynäkologen, der das Baby mit der Saugglocke holen musste.
    «Mach’s bloß nicht kaputt», warnte ich, «sonst können wir das Teil am Montag nicht zurückschicken.»
    «Geschafft.» Erdal trat ein paar Schritte zurück und bewunderte sein Werk. «Na bitte, Elli, das passt doch wie angegossen. Ich bin stolz auf dich.»
    Ich betrachtete mich wohlwollend im Spiegel.
    «Und was ist mit deinem Anzug, Erdal?», fragte ich vorsichtig. Ich wollte Erdal ja nicht beschämen, aber ich hatte irgendwie nicht den Eindruck, dass er in den vergangenen Wochen die nötigen Kilos abgenommen hatte, um in seine Traumgröße 48 zu passen.
    «Un momento, erst gehe ich mich kurz duschen, und dann werde ich euch das Prachtstück an meinem Prachtkörper vorführen. Maurice, kümmere dich in der Zeit doch noch etwas um Ellis Teint. Ich finde, sie glänzt immer noch zu sehr auf der Stirn.»
    «Tatatata!»
    Erdal betrat das Wohnzimmer wie Heidi Klum den Laufsteg. Ich war überrascht. Nun gut, über die Farbe, ein dunkles Blau durchwirkt mit Goldfäden, ließe sich sicher streiten, aber der Anzug sah wirklich nicht zu eng aus.
    «So werden wir schließlich doch noch belohnt für unsere ganze Mühe, was, Elli?»
    Erdal schaute zufrieden an sich herunter. Dann fing er plötzlich an, sich die Augen zu reiben.
    «Irgendwas stimmt nicht. Aua, meine Augen! Und mein Gesicht brennt auch wie Feuer. Verdammt, anscheinend vertrage ich deine Gesichtscreme nicht, Elli.»
    «Welche Gesichtscreme?»
    «Na, die in der gelben Tube neben deinem Zahnputzbecher.»
    «Du benutzt meine Cremes?»
    «Ach, nur manchmal. Aber die kannte ich noch nicht, und Vichy ist ja auch eine gute Marke.»
    «Das ist keine Gesichtscreme. Das ist ein Gel gegen Orangenhaut. Das heizt die Haut auf und fördert die Durchblutung in den oberen Hautschichten.» «Hargh, meine Augen, ich erblinde!», schrie Erdal, riss sich sein Sakko vom Leib und rannte Richtung Bad. Ich hängte sein Jackett vorsichtig über einen Küchenstuhl. Es war purer Zufall, dass mir dabei das Schild mit der Größe ins Auge fiel. Ich beschloss,

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