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Blau wie Schokolade

Blau wie Schokolade

Titel: Blau wie Schokolade
Autoren: Cathy Lamb
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in Charlies Stimme, die Erleichterung.
    Warum klang er so erleichtert? War ich eine so schlechte Tante? Die Schuldgefühle lasteten so schwer auf mir, dass es sich anfühlte, als trüge ich einen Fels auf den Schultern. Ja, ich war eine schlechte Tante. Aber das würde sich ändern, schwor ich mir. Das würde anders werden!
    »Ich komme sofort rüber!«
    Gesagt, getan.
    Und so kam es, dass ich drei Tage lang vier Kinder in meinem Haus in Weltana hatte.
    Da Jay nicht da war, nahm ich es allein in Angriff.
    Es wäre weniger anstrengend gewesen, einen Marathon mit einem auf den Rücken geschnallten Gnom zu laufen, als auf die Kinder aufzupassen, aber der Zieleinlauf war das Schönste, was ich seit langer, langer Zeit erlebt hatte.
     
    Als Charlie drei Tage später eintraf, um die Kinder abzuholen, versteckten sie sich vor ihrem Vater.
    Was ihn nicht weiter störte, denn er wollte sich zum Ausruhen an den Fluss setzen und dabei das Sandwich mit Pute und Avocado essen, das ich ihm bereitet hatte. Als die Kinder sahen, dass ihr Vater länger bleiben würde, krochen sie aus ihren Verstecken und umarmten ihn.
    Der Besuch der Kinder war eine Mischung aus Zirkus, Narrenhaus, Katastrophe, kaum beherrschter Hysterie und Erschöpfung (meinerseits). Als die vier eintrafen, saßen wir zuerst herum und belauerten uns gegenseitig, so wie man es mit einer Gruppe friedlich gesinnter Außerirdischer täte.
    Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was ich tagelang mit vier Kindern anstellen sollte. Allerdings dauerte es nicht lange, bis sich Jeanne Marie und Theo stritten und eine Kissenschlacht veranstalteten. Tommy beschoss beide mit seiner Spielzeugpistole. Julie Anne nahm sich meine Handtasche vor, zog sich bis auf ihr Tutu nackt aus und bemalte sich mit meiner Schminke den Bauch.
    Ich sorgte für Ruhe, als ich sagte, wir würden Eiscreme aus einer Schüssel essen, die so groß wie ein Schweinetrog sei. Ich füllte eine Schale mit drei Sorten Eis und goss dann Schokoladensauce, Karamell und massenweise Schlagsahne darauf. Zuerst glotzten mich die Kinder staunend an, dann begannen sie zu schaufeln.
    Der Spaß dauerte eine Viertelstunde, dann wurde es wieder heikel. Ich konnte es ihnen nicht zum Vorwurf machen. Die Kinder kannten mich nicht, ich kannte sie nicht, und diese missliche Lage war ganz allein meine Schuld.
    Ich war mehr als niedergeschlagen, als Jeanne Marie, den Löffel noch immer in der Eisschüssel, fragte: »Wieso hast du uns eigentlich nie besucht? Meine Freundin Meredith hat eine Tante, die ist immer da. Wieso du nicht?« (Jeanne Marie sieht sogar aus wie ich. Das ist wirklich unheimlich.)
    Und Tommy schloss sich an, Schokolade im ganzen Gesicht: »Hast du uns nicht lieb? Magst du uns nicht?«
    Theo fügte hilfsbereit hinzu: »Mum hat gesagt, du hast uns lieb, aber du hast viel zu tun, und manchmal bist du auch traurig und konntest nicht kommen. Warst du wegen uns traurig? Du musst nicht traurig sein, du hast uns ja immer ganz tolle Geschenke geschickt. Dieses riesige Haimaul, das du mir letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hast, das fand ich super. Ich hab es am Spielzeugtag mit in die Schule genommen und aufgesetzt. Und das Ameisenhotel war klasse. Die Ameisen habe ich immer noch.« Flüsternd fügte er hinzu: »Aber erzähl das nicht Mummy und Daddy, weil, dann sind sie traurig. Dass du immer die besten Geschenke hast.«
    Im Herzen dankte ich Deidre. Dass sie meine unentschuldbare Vernachlässigung immer wieder entschuldigt hatte, hatte ich nicht verdient, doch war ich ihr sehr dankbar dafür. »Ich habe euch alle lieb. Ich habe euch immer liebgehabt.«
    »Echt?«, fragte Jeanne Marie. »Woher sollen wir das wissen?«
    »Genau«, meinte Tommy. »Du hast uns nicht besucht, du hast nicht angerufen. Wieso sollen wir dir glauben, dass du uns liebhast?«
    Nun war ich ratlos. Wie konnte ich es ihnen beweisen? Dann hatte ich einen Geistesblitz. »Kommt mal mit nach oben!«
    Wir stiegen die Treppe hinauf, und ich öffnete meinen Wandschrank und holte die Fotoalben hervor. Jedes Kind hatte ein eigenes, in das ich die Aufnahmen geklebt hatte, die Deidre und Charlie mir per Post oder E-Mail geschickt hatten, dazu ein Fotoalbum für die ganze Familie.
    Hingebungsvoll hatte ich an diesen Alben gearbeitet, wenn auch meistens nach Mitternacht mit einem Scotch in der Hand. Es war meine einzige »künstlerische« Beschäftigung gewesen. Auf jeder Seite klebten ein oder zwei Fotos, dazu niedliche Verzierungen, Aufkleber und
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