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Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Titel: Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I
Autoren: Thomas Gsella
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dicke schwere Schwabbel auf ihn zugeflogen, sprang ihn an, mit beiden Fäusten vorm Gesicht und einem Schrei. Weinhold fiel, zuerst mit dem Rücken auf die Mauer. Anschließend schwangen seine Beine hoch, und der Pfleger machte einen Rückwärtskusselkopf. Nach dreißig Metern schlug er erstmals auf. Später hieß es, schon da habe sich ein Bein gelöst.
    Wie die Jungen berichteten, wurde Weinhold dann zusehends kleiner, ein fahriger Punkt, der von Felsen zu Felsen sprang. Die Bergungsmannschaft mühte sich vergeblich, ihn komplett aufzusammeln. Und so war, am Morgen des nächsten Tages, als die Feriengruppe in den Zug nach Essen stieg, unter den zahlreichen Gepäckstücken auch ein schwarzer, kleiner, für einen Mann zu kleiner Sarg. Ein Sarg für ein Kind.
    »Stimmt genau«, sagte G., und mit einem Satz nahm er die Stufen zum Waggon. Drinnen wartete Rotze.

AUS DEM NOTIZBLOCK II
    Umfrage
    Vor zwanzig oder fünfunddreißig Jahren sah ich den von mir bis dato hochgeschätzten Hegel-Marx-Versteher Ernst Bloch dank Fernsehen erstmals live, und wie er also schrecklich warnend rumpelte und fuchtelnd losramenterte und zeigefingernd blökte wie ein schon eminent neurosendicker Pope und impertinenter Bayernsack, da wechselte ich halt flugs zum zarten Walter Benjamin; aber worauf ich hinauswill, nun, da mein Ruhm dem Blochschen sich nähert und ihn gewiss bald überstrahlen tut: Seid ihr, ihr meine Fans und Hörigen, von meinen Lese-Live-Events denn eigentlich vergleichbar irritiert? Desillusioniert und aus der Bahn geworfen? Oder ist mein Vortrag nicht vielmehr Gesamtkunst, ein pastellen lichtes Seidentüchlein, welches Text und Habitus sich wie zwei Liebende umarmen macht und ihnen wachsen lässt hauchschöne Flügelein, auf denen sie, leichthin der Sonne und dem Paradeis entgegen, strahlen wie illuminierte Raumstationen oder wenigstens – wie? Hihi. Ihr kennt mich gar nicht? Haha! Und kuckt euch meine Lesungen drum mit dem Arsch nicht an?
    Je nu.
    Plasmawesen
    »Guten Tag! Wissen Sie, bis wann Edeka heute geöffnet hat?«
    »Is offn, wir sind grad noch dran vorbeigelaufn.«
    »Ja. Und wissen Sie, bis wann es heute geöffnet hat?«
    »Jaja, is offn, Tür war auf!«
    »Gewiss. Doch wissen Sie, bis wann es geöffnet hat? Bis achtzehn oder zwanzig Uhr – zum Beispiel?«
    »Jau. So wat, odder? Sechs oder acht. Pfümpf? Tür war jebmfalls auf grade.«
    »Vielen Dank.«
    Diese außerirdische Intelligenz ihrer Bewohner mag die Stadt Essen getrieben haben, sich um den Titel »Europäische Kulturhauptstadt 2010« zu bewerben. Welchen sie ja dann auch holte.

EIN GESTÄNDNIS
    Vor kaum dreißig Jahren erschien mein erster satirischer Text, eine Replik auf Kohls Goebbels-Gorbatschow-Vergleich. Der Text behauptete eine sexualpsychologische Beziehung zwischen jenem mutigen Vergleich und einem gleichfalls unterstellten Kohlschen Überdruss an seiner Ehefrau und war, aus heutiger Sicht, im Ganzen weniger ungeübt als vielmehr schrecklich, grob, billig, falsch, anbiedernd, wenn auch, und an nicht wenigen Stellen, fein gedacht, gut gemacht, seidenfein gesponnen und geschliffen, kurz: ein humoristisches Juwel des linken Widerstands gegen Imperialismus und Schweinesystem. Das aufgeklärte Ruhrgebietsmagazin Guckloch sah’s genauso, druckte ihn, zu Hause kippte ich ein Bier drauf, und hinein in meine Freude klingelte das Telefon.
    »Hier Willner vom Playboy . Dem Herrenmagazin.«
    Der Playboy -Redakteur bedauerte, dass ich den Kohltext nicht zuerst ihm angeboten hatte – aber ob ich nicht das Guckloch ab sofort links liegenlassen und Playboy -Kolumnist werden wolle?
    Meine Reaktion können Sie sich vorstellen: der Jungsatiriker und Kritiker als Hofnarr einer zutiefst frauenfeindlichen, zutiefst ausbeuterfreundlichen, zutiefst überteuerten Porno-Postille?! Ich sagte, ach was, ich bellte in den Hörer:
    »Na hören Sie, wie hoch ist denn Ihr Zeilenhonorar?«
    »Fünf Mark. Für Ihren Kohltext hätten wir tausend gezahlt. Wie viel zahlt Guckloch ?«
    »Dreiundzwanzig. Worüber soll ich denn schreiben?«
    Während der Redakteur was von »Erotik« plauderte und »aber locker frisch verpackt«, kam ich ins Rechnen: Jeden Monat einen gottverdammten Riesen, das machte zwölf-, in guten Jahren dreizehntausend Mark. Bilder tauchten auf: von einem Flachdacheigenheim mit integrierter Finnensauna, von ausgiebigen Karibiktörns und rehbraun schlanken Spitzenweibern, zwei an jeder Playboykolumnistenschulter, ich natürlich in Spendierhosen
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