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Blackout

Blackout

Titel: Blackout
Autoren: Gregg Hurwitz
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Feldbett lag eine auf die Seite gedrehte junge Frau, die beinahe auch wie ein unbelebtes Objekt wirkte.
    Ihre Augen waren friedlich geschlossen, und Lloyd, die empfindsame Seele, hatte ihr ein Kissen unter den Kopf gelegt. Ich sah, wie ihre Schulter sich langsam im Rhythmus ihrer Atemzüge hob und senkte. Die Haut an ihrer linken Hüfte war mit Punkten übersät, wo Lloyd ihr mit der großen Kanüle das Knochenmark aus dem Beckenknochen entnommen hatte. Die Einstiche waren weniger zahlreich und dichter, als ich erwartet hatte. Lloyd musste mehrmals denselben Einstichkanal gewählt und die Haut dann jedes Mal ein wenig verschoben haben, um eine neue Stelle am Knochen anzubohren.
    Sie lag ausgelaugt und bewusstlos da und wartete auf das Filetiermesser. Ich konnte mir vorstellen, dass Lloyd, der ihr Benzodiazepin verabreichte, damit sie nicht unnötig litt, diesen Teil seiner Unternehmung nicht mochte und ihn deshalb so lange aufgeschoben hatte, während er den Van für den Transport der Leiche herrichtete. Er konnte sie genauso wenig leben lassen, wie er Kasey Broach hätte freilassen können, nachdem er von ihr genommen hatte, was seine Frau brauchte. Die Wunden und die folgende medizinische Behandlung hätten ans Licht gebracht, dass ihr Knochenmark entnommen worden war, und von dieser Erkenntnis bis zu der Liste der anderen Spender und damit auch zu Janice wäre es nur noch ein kleiner Schritt gewesen. Indem er eine Leiche hinterließ, lief Lloyd auch weniger Gefahr, dass die Knochenmarkentnahme ans Licht kam. Ich hatte bei einer Autopsie von ihm selbst gelernt, dass Gerichtsmediziner für gewöhnlich Organe entnehmen und wiegen, sichtbare Verletzungen untersuchen und Flüssigkeiten und Gewebeproben nehmen. Aber sie hätten wenig Grund gehabt, unter einer sorgfältig plazierten Abschürfung nach Perforationen im Knochen zu suchen. Und obendrein gab es natürlich keinen Patienten mehr, der über tiefer liegende Schmerzen hätte klagen können.
    In einem Pyrex-Glas entdeckte ich mein Gangliogliom, wie ein Schuh, den man achtlos in die Ecke gekickt hat. Mein Tumor hatte den Mörder schon vor mir gefunden. Ich brauchte einen Moment, bis ich meinen Blick von dem vertrauten Zellklumpen losreißen konnte. Lloyd hatte ihn bei seiner
Gaslight
-Kampagne entführt, so dass ich glaubte, er sei vernichtet worden. Wahrscheinlich hatte er vorgehabt, ihn am Tatort zu deponieren, um meine Verwirrung noch zu steigern und mich noch eindeutiger als Schuldigen dastehen zu lassen.
    Ich näherte mich dem Mädchen. Sissy Ballantine? Ich legte den Wagenheber neben ihr auf der Matratze ab und streckte meine Hand nach ihr aus. Die Lider des Mädchens hoben sich träge.
    Ganz ruhig sagte sie die Worte: »Hinter dir.«
    Ich wirbelte herum und wäre beinahe über das herabhängende Ende eines Schlauchs gestolpert.
    Lloyd stand in der Tür. »Verdammt noch mal«, sagte er. »Verdammt noch mal, Drew.«
    Ich ging einen Schritt nach rechts, in der Hoffnung, damit den Wagenheber vor seinen Blicken zu verbergen. Wenn ich ihn nicht unnötig reizte, konnte diese Geschichte vielleicht ein gewaltloses Ende nehmen. Oder? Ein Metalltablett drückte mir von hinten in den Rücken. Sissy murmelte irgendetwas, aber dann wurde ihre Stimme wieder schwächer, und sie verstummte ganz.
    »Ich konnte sie nicht einfach so sterben lassen, Drew«, sagte er. »Das konnte ich nicht. Nicht, wenn ich die Möglichkeit hatte, etwas dagegen zu unternehmen.«
    Meine Stimme war ganz heiser. »Aber warum … warum hast du dir ausgerechnet
mich
ausgesucht?«
    Er blickte zu Boden, auf meine Schuhe, um mich nicht ansehen zu müssen. »In den letzten zwei Jahren habe ich mich jeden Tag in das Transplantationsregister eingeloggt. Tag für Tag. Und habe diese zwei Frauen angestarrt, deren Knochenmark für Janice geeignet war. Die eine, die sich von der Spenderliste hatte streichen lassen, die andere, deren Knochenmark bereits für jemand anders gedacht war. Ich konnte nichts tun. Tagsüber hab ich mit Leichen hantiert, und nachts hab ich meiner Frau beim Sterben zugeguckt.« Er legte eine Hand auf die Klinke der halb geöffneten Tür und bewegte sie leicht hin und her. »Aber eines Nachts wurde ich aus dem Bett geholt. Und da lag Geneviève in ihrem Schlafzimmer. Ich war völlig überfahren. Die Notärzte erzählten mir, dass man dich gerade abtransportiert hatte. Dass du einen Anfall gehabt hattest. Total weggetreten warst. Dass du jetzt gerade operiert wurdest. Ich ging also
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