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Blackout

Blackout

Titel: Blackout
Autoren: Gregg Hurwitz
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dem Messer bereits erhoben, und während er fiel, merkte ich im ersten Moment, wie die Spitze gegen den Widerstand seines Bauchs drückte, dann ließ die Spannung mit einem Schlag nach, und das Messer drang ein. Er brach auf mir zusammen, wobei ihm die Gasmaske in die dichten Locken hochrutschte. Meine zappelnden Beine trafen das Pyrex-Glas – das Klirren von splitterndem Glas, der Chemiesaal-Geruch nach Formaldehyd. Lloyd weinte vor Entsetzen, sein Gesicht war verzerrt. Meine Hände umklammerten immer noch den Messergriff unter seinem sterbenden Gewicht. Seine weißen Fingerspitzen gruben sich in meine Wangen, während er die schiefe Maske immer noch auf mein Gesicht presste.
    Er stieß noch ein paar unkontrollierte Laute aus, dann brach er zusammen. Aus seinem Mund lief mir in dünnen Fäden das Blut auf die Brust.
    Verbranntes Gummi.
    Der beißende Geruch überflutet meinen ganzen Kopf, setzt sich in meinen Nasenhöhlen fest, überzieht jede Windung meines Gehirns. Ich kann ihn nicht mehr wegatmen.
    Ich fahre. Auf der Uhr im Armaturenbrett steht 1 Uhr 21 .
    Genevièves Haus kommt in Sicht, und ich reiße das Lenkrad herum, holpere auf den Gehweg und fahre dabei den Sprinklerkopf um, der am Rand aus dem Zierrasen ragt.
    Ich renne den Weg zum Haus hoch, meine Oberschenkelmuskeln brennen. Meine Haut ist klamm und pulsiert vor unbekanntem Entsetzen. Ich stolpere auf die Veranda. Von drinnen hört man laute Musik.
    Ich greife nach dem Terrakottatopf, er rutscht mir aus der Hand und der Untersetzer zerbricht. Nachdem ich den Topf zurückgestellt habe, greife ich mir den Schlüssel, der in den Dreck gefallen ist. Ich fummle am Türschloss herum. Der Schlüssel fällt mir herunter. Er segelt über die Veranda, aber Gott sei Dank fällt er nicht durch die Spalten zwischen den Bodenbrettern.
    Während der Gestank mir völlig den Kopf vernebelt, bekomme ich den Schlüssel dann doch ins Schloss, drehe ihn, drücke die Tür auf. Als ich hineinstolpere, stoße ich gegen den Flurtisch. Der Briefbeschwerer aus Muranoglas gleitet über die Tischplatte wie ein Eishockey-Puck, und im nächsten Moment klirren auch schon die kleinen, bunten Teilchen über die Marmorfliesen.
    Jagende Streicher, donnernde Hörner, das herzzerreißende Wehklagen eines Soprans.
    Perchè tu possa andar … di là dal mare …
    Es kommt mir vor, als schwebte ich die Treppe hoch, als berührten meine Schuhe kaum den Teppich.
    Geneviève liegt auf dem Boden, Gesicht und Brust nach unten gedreht, die Knie angezogen, als hätte sie gekniet, als sie zusammenbrach.
    Bereits tot.
    Blut hat den weißen Teppich rundherum durchtränkt. Das Fenster steht offen, ihr cremefarbenes Nachthemd flattert in der Zugluft um ihren Körper und entblößt dabei eine nackte, blasse Schulter.
    Irgendetwas löst sich in meinem Brustkorb, ich stoße einen Schrei aus und stürze zu ihr. Ich fasse sie leicht bei der Schulter und drehe sie herum. Dabei fällt mir einer ihrer Arme steif entgegen und trifft mich im Gesicht.
    Das unerbittliche Crescendo.
    Amore, addio! Addio! Piccolo amor!
    Sie liegt schlaff in meinen Armen. Ihre zierliche Hand ist leicht gekrümmt, nur der Zeigefinger ist ausgestreckt, wie bei Michelangelos Adam, aber ohne einen Gegenpart. In ihrem Körper steckt ein Messer, bis zum Schaft. Schluchzend, verzweifelt, ergreife ich den Stahl mit beiden Händen und ziehe ihn heraus. Sie rutscht von meinem Schoß.
    Schwärze dringt in meine Traumerinnerung ein, beginnt an den Rändern und frisst sich langsam nach innen, bis die Flecken mir ganz die Sicht nehmen.
    Durch meinen Sevofluran-Dämmer hörte ich Sirenen.

[home]
    44
    E s war so spät, dass es schon wieder früh war, aber der Himmel wollte es noch nicht recht eingestehen. Auf meiner Türschwelle lag eine
Los Angeles Times,
die erste, seit ich das Abonnement nach meiner Zeit im Gefängnis wieder erneuert hatte. Überall hatte ich Flecken von Lloyd Wagners Blut. Ich bückte mich und hob die Zeitung auf. Vielleicht wurden die Dinge ja jetzt endlich wieder normal.
    Über einem Bild, auf dem ich blass und übellaunig aussah, stand die Überschrift (wie immer hinkten sie den neuesten Neuigkeiten hinterher):
Danner erneut verhaftet.
    Vielleicht wurden die Dinge doch noch nicht wieder normal.
    Ich betrat das Haus, und Xena sprang mich zur Begrüßung an. Nachdem ich das schmutzige T-Shirt ausgezogen und in den Müll geworfen hatte, ging ich ins Wohnzimmer und setzte mich auf meinen ehrenwerten Lesesessel. Die
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