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Blackout (German Edition)

Blackout (German Edition)

Titel: Blackout (German Edition)
Autoren: Alice Gabathuler
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und er ging in einem schwarzen Strudel unter.

8
    J emand schüttelte ihn. Durch einen langen Tunnel hörte er eine Stimme. »Was macht ihr denn da, ihr Idioten? Wollt ihr ihn ersäufen? Haut bloß ab oder ich ruf die Polizei!«
    Eine Frau mit besorgtem Gesicht beugte sich über ihn. »Bist du in Ordnung?«
    »Geht schon«, krächzte er.
    »Kannst du aufstehen?«
    Nick wollte es nicht einmal versuchen. Die Welt um ihn herum drehte sich. Mittendrin saß er vor seinem Geburtstagskuchen. Erschöpft ließ er den Kopf auf den Boden sinken.
    »Soll ich dir helfen?«, fragte die Frau.
    »Ist schon gut, nichts passiert«, stieß er hervor. Er rappelte sich hoch und hoffte, dass er gehen konnte. Die Welt drehte sich immer noch viel zu schnell, aber er konnte auf seinen Beinen stehen. Wie ein Betrunkener taumelte er aus dem Kreis der Gaffer.
    Ein paar Straßen weiter, außer Sichtweite der anderen, ließ er sich an einer Hausmauer entlang auf den Boden gleiten. Sein Gesicht schmerzte, sein Körper zitterte vor Kälte. Sie würden ihn rauswerfen. Auf der Stelle. Hatte alles keinen Sinn. Er saß auf dem kalten Asphalt und wusste nicht wohin. Irgendwann stand er auf und machte sich auf den Weg zu Eggers. Bevor er am Abend das Haus verlassen hatte, war es ihm wie ein Gefängnis erschienen, jetzt sehnte er sich nach der Wärme und Geborgenheit, die dieser Ort trotz allem ausstrahlte.
    Nick stand vor der Haustür, starrte auf den Schriftzug Familie Egger, doch er hatte nicht den Mut, die Klinke zu drücken und einzutreten. Er setzte sich auf die Bank vor dem Haus, vergrub den Kopf in seinen Händen und kniff seine Augen zu, um die Tränen zurückzuhalten. Er weinte nicht. Nie. Wer weint, verliert. Das hatte sein Vater zu ihm gesagt, als er mit neun vom Fahrrad gefallen war und geweint hatte, weil er sich die Knie aufgeschlagen hatte, vor allem aber, weil sein neues Fahrrad mit verbogenem Lenker und zerkratztem Lack auf dem Kiesplatz lag. Er hatte zwar nicht genau verstanden, was sein Vater damit meinte, dass man verlor, wenn man weinte, aber die Worte hatten sich in sein Gehirn gebrannt. Er hatte nie wieder geweint in der Gegenwart seiner Eltern.
    Irgendwann hörte er das Klappern von Absätzen auf dem Vorplatz.
    »Nick?«, fragte Carla. »Was tust du hier draußen?«
    »Den Abend genießen, was denn sonst?« Hoffentlich merkte sie nicht, dass er kurz davor war loszuheulen.
    »Hör auf! Das ist nicht lustig. Du zitterst. Was ist passiert?«
    »Nichts.«
    Sie ließ sich nicht abwimmeln. »Was ist mit deinem Gesicht passiert?«
    »Lass mich einfach in Ruhe, ja?«
    »Ich dachte, du hättest mit meinen Eltern einen Deal? Nicht später als um elf Uhr zu Hause? Es ist halb zwölf. Also, warum sitzt du hier draußen?«
    Als er nichts sagte, zog sie ihn ungeduldig am Ärmel. »Was ist los? Du bist ja ganz nass.«
    »Hab ein Bad genommen.«
    »Alles klar. Du traust dich da nicht rein, stimmt’s?«
    Nick schwieg.
    »Du stehst jetzt auf und kommst mit mir rein!«
    »Nein!«
    »Doch, du sturer Bock!« Carla war laut geworden. So laut, dass Susanna den Kopf durch die Tür steckte.
    »Da bist du ja!«, rief sie.
    Nick stand auf und drückte sich an Susanna vorbei.
    »Ich geh packen«, sagte er.
    »Packen?«, fragte Susanna. Sie hielt ihn fest. »Wie siehst du denn aus? Was ist geschehen?«
    »Nichts!« Nick riss sich von ihr los. Er wollte seine Ruhe. Einfach nur seine Ruhe!
    Am Fuß der Treppe stand Martin. »Du gehst dich jetzt umziehen und dann setzen wir uns zusammen«, sagte er ruhig.
    »Mann, ist das vielleicht eine Show«, sagte Nick. Mit gesenktem Kopf ging er nach oben. Sie sollten nicht sehen, wie elend er sich fühlte.
    Er blieb den ganzen nächsten Tag in seinem Zimmer. Drei Mal packte er seine Tasche und drei Mal packte er sie wieder aus. Bestimmt wusste das Jugendamt inzwischen Bescheid. Doch niemand kam, keiner klopfte an seine Tür und forderte ihn auf, endlich aus dem Zimmer zu kommen. Er verstand das nicht.
    Am Abend schlich er in die Küche hinunter, wo Susanna dabei war, das Abendessen zuzubereiten.
    »Tut mir leid«, sagte er.
    »Ist das alles?«, fragte sie.
    »Ich kann auch gehen.«
    Susanna schwieg. Nick fürchtete sich vor ihrer Antwort. Gleich würde sie es aussprechen. Gleich würde sie sagen, dass er gehen solle.
    »Das ist es nicht«, sagte sie. »Die Frage ist, ob du bleiben willst.«
    »Wie …? Was …?«, stammelte er.
    »Du bist noch nicht einmal zwei Wochen hier. Und schon beim ersten Problem willst du
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