Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Black Mandel

Black Mandel

Titel: Black Mandel
Autoren: Berni Mayer
Vom Netzwerk:
Straßen in den Außenbezirken von Bergen ankamen, war es immer noch nicht hell. Selbst dem Mandel sah man seine Müdigkeit jetzt an. Er hatte diese Hundefalten im Gesicht, von den Augenringen ganz zu schweigen. An einer Tankstelle holte er einen Kaffee und einen Schokoriegel und lehnte sich gegen den Ford. Den Becher stellte er nach einem Schluck auf dem Dach ab, wo der Kaffeedampf in die norwegische Nacht abzog. Den Schokoriegel steckte er in die Innentasche seiner Seewolfjacke. Ich saß auf dem Beifahrersitz und hatte die Tür geöffnet. Es war ungnädig kalt draußen, und wir befanden uns in einer Art Industriegebiet.
    »Die Luft ist gut. Wie bei uns daheim«, sagte der Mandel, ohne zu erklären, was er mit »bei uns daheim« meinte.
    »Und eiskalt«, sagte ich.
    Der Mandel nahm seinen Becher vom Dach und stieg wieder ein. Es fing an zu regnen.
    »Jetzt haben wir gar nicht geschaut, wo das Hotel ist, das die Plattenfirma reserviert hat«, sagte ich.
    »Doch«, sagte der Mandel und ließ den Motor an.
    Wir fuhren bald über Kopfsteinpflaster durch die Innenstadt. Im Dunkeln sah es hier aus wie in der Innenstadt von Erlangen oder einer beliebigen seelenlosen deutschen Stadt. Nur die Berge ringsherum waren sehr eng an die Siedlung herangerückt, das hatte ich so noch nie gesehen. Als hätte jemand die Stadt eingemauert. Kein Mensch war auf der Straße, und nur vereinzelt trafen wir auf andere Autos. Hordaland hieß die Provinz, in der wir uns befanden, hatte ich zuvor auf einem Schild gelesen. Bergen, Hordaland . Unwillkürlich denkt man an eine Horde Wilder mit Streitäxten.
    »Ist unser Hotel am Hafen, in diesem netten Viertel?«, fragte ich den Mandel, weil ich von einem netten Viertel am Hafen gelesen hatte.
    »Spinnst du? Wer soll denn das bezahlen?«, sagte der Mandel.
    »Die Plattenfirma. Wenn man schon mal am Meer ist«, sagte ich, sah aber natürlich ein, dass wir bei der momentanen Lage der Musikindustrie kein teures Hotel mit Meerblick erwarten konnten.
    Links unter uns lag die Bucht. Die Straßen wurden enger, es ging bergauf, die Häuser wurden kleiner, die Stadt wirkte jetzt fast wie ein Bergdorf. Aus der Dunkelheit wuchsen uns zwei symmetrische Kirchtürme mit prägnanten Spitzdächern entgegen. Die Türme hatten etwas Herrisches an sich.
    » Mariakirken, ältestes Gebäude im Ort«, sagte der Mandel, als hätte ich ihn danach gefragt. Der Mandel umrundete die Kirche, und wir fuhren an einem kleinen Haus vorbei, auf dessen Schaufenster Nirvana Pizza Orient stand. Außer einem eingeschweißten Chicken-Barbecue-Sandwich hatte ich auf der ganzen Reise nichts gegessen, weil der Mandel dagegen war, in einem Restaurant zu halten. Wahrscheinlich hatte er auch gar keinen Hunger mit den ganzen Schokoriegeln im Magen. Überhaupt war der Mandel in den letzten Wochen kaum noch ohne Schokoriegel anzutreffen, und langsam sah man ihm das an, fand ich. Ich schaltete mein Telefon nach längerer Zeit wieder ein und sah die Anzeige für zehn Anrufe in Abwesenheit. Von Maria. Mitten in der Nacht. Unter dem Logo der Pizzeria stand: Den absolutt beste kebaben i Bergen. Es brannte Licht. Ich hoffte, der Mandel würde nicht mehr weit fahren, und tatsächlich hielt er ein paar Minuten später an einem vierstöckigen Haus, aus dessen Fassade in jedem Stockwerk kleine Erker in die Straße hineinragten. Neben jedem Erker befand sich ein winziger französischer Balkon. Die anderen Häuser in der Straße waren so gedrungen, dass dieses Haus im Gegensatz dazu wie ein Hochhaus wirkte. Der Mandel stieg aus, und ich folgte ihm. Er klingelte neben einem goldenen Klingelschild, auf dem Gjestehus Kaltenborn stand.
    »Es ist halb sechs in der Früh. Da ist wahrscheinlich noch keiner da«, sagte ich und wischte mir den Regen aus dem Gesicht. Der Türöffner summte. Die Eingangshalle war schmal, aber links und rechts mit ornamentierten Spiegeln versehen, in denen der Mandel im Vorbeigehen seinen Seitenscheitel überprüfte. Es gab keinen Aufzug, und wir fanden keinen Lichtschalter, aber im dritten Stock hatte jemand die Tür geöffnet, und ein sanfter Lichtstrahl erhellte das dunkle Treppenhaus. Mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit trat der Mandel ein und sagte: »God morgen.« Ein goldblondes Mädchen saß in einem winzigen Foyer hinter einem Schreibtisch und sagte: »Hi there. How can I help you?«
    Ihre Konsonanten klangen liebenswert, vor allem das k. Sie war vielleicht Mitte zwanzig und hatte ihre Haare lose mit einem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher