Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bitterzart

Bitterzart

Titel: Bitterzart
Autoren: Gabrielle Zevin
Vom Netzwerk:
sehen, bevor ich nach Liberty kam, aber nur zu dem Zweck, die Beziehung zu beenden.
    »Das Letzte tut mir leid«, sagte er. »Wie gesagt, ich mag dich sehr gern. Aber solange du mit Win zusammen bist, habe ich ein Problem. Und ja, vielleicht habe ich bisher meine Sorge um Wins Wohl unter den Scheffel gestellt. Auch wenn diese erste Kugel Wins Charakter stählen wird, möchte ich doch nicht, dass noch mal auf ihn geschossen wird. Ich hätte gerne, dass mein Sohn sein zwanzigstes Lebensjahr vollendet.«
    Ich dachte über das Angebot nach: Drei Monate Liberty und keinen Win mehr im Austausch für die Sicherheit meines Bruders und meiner Schwester. Zwei gegen zwei. Doch, das schien mir gerecht. Es würde nicht allzu schwer werden, mit Win Schluss zu machen, weil ich das auf gewisse Weise schon länger hatte tun wollen. Ich liebte ihn zwar, aber er war in meiner Nähe nicht sicher. »Woher soll ich wissen, dass Sie Ihr Wort halten?«
    »Weil ich ebenso viel zu gewinnen und zu verlieren habe wie du«, entgegnete Charles Delacroix.

    Am dritten Sonntag im Mai (zwei Wochen vor Liberty) gingen Natty und ich zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder in die Kirche. Ich beichtete nicht, weil mir die Schlange zu lang war, ebenso wie meine Liste von Sünden. Aber ich empfing die Kommunion. In der Predigt ging es passenderweise ums Opferbringen: dass es Erlösung versprach, selbst wenn es nicht immer sofort offensichtlich war. Das gab mir die nötige Kraft, die ich für das brauchte, was ich hinter mich bringen musste.
    Nach der Kirche besuchten Natty und ich Win in seiner Wohnung. Charles Delacroix hatte die Bewachung gelockert. Außerdem war Win erzählt worden, dass sein Vater nicht mehr ganz so streng wegen mir war. (Er wusste allerdings nichts von meinem bevorstehenden Aufenthalt in Liberty.) Natty hatte Win furchtbar vermisst, vielleicht genauso sehr wie ich. Sie malte Blumen auf seinen Gips, den er nun statt der Stahlschrauben trug, und sie gab ihm seine Mütze zurück, auf die sie seit dem Schulball aufgepasst hatte. »Win und ich müssen uns mal kurz unterhalten«, sagte ich zu ihr.
    »Uh, wollt ihr vielleicht knutschen?«, neckte sie uns.
    »Komm, wir setzen uns nach draußen«, schlug Win vor. »Ich kann schon ein bisschen gehen. Außerdem besteht die Gefahr, dass ich zu einem Vampir werde, wenn ich nicht hin und wieder ans Tageslicht komme.«
    Wir gingen auf den Dachgarten seiner Mutter und setzten uns an einen Picknicktisch, da Win immer noch viele Pausen einlegen musste. Es war wunderbar sonnig, ich wünschte mir eine Sonnenbrille. Win legte mir beide Hände über die Augen, um sie vor der Sonne zu schützen. So ein lieber Kerl war er.
    Ich hatte mir zurechtgelegt, was ich sagen wollte, so dass meine Worte klangen wie auswendig gelernt.
    »Win«, begann ich, »während unserer Trennung habe ich viel nachgedacht und bin zu einem Schluss gekommen. Ich glaube, wir passen nicht zusammen.«
    Er lachte mich an. Ich musste etwas überzeugender werden, wenn er mir glauben sollte.
    »Im Ernst, Win. Wir können nicht zusammen sein. Es geht einfach nicht.« Ich bemühte mich, ihm bei diesen Worten in die Augen zu sehen. Blickkontakt vermittelte den Eindruck, dass man die Wahrheit sagte, auch wenn das nicht stimmte.
    »Hat mein Vater dir das befohlen zu sagen?«
    »Nein. Das kommt von mir. Aber ich glaube schon, dass dein Vater recht hat in Bezug auf dich«, sagte ich. »Ich meine, sieh dich doch an! Du bist wirklich schwach. Es ist sinnlos. Ich kann langfristig nicht mit jemandem wie dir zusammen sein.«
    Er sagte, er würde mir das nicht abkaufen.
    »Es gibt jemand anders«, sagte ich.
    »Wen?«, stieß Win hervor.
    »Yuji Ono.«
    »Das glaube ich dir nicht.«
    »Glaub, was du willst«, gab ich zurück. »Aber ich treffe mich seit der Hochzeit meines Cousins mit ihm. Wir haben denselben Hintergrund und dieselben Interessen. Er versteht mich, Win, so wie du das nie konntest.« Und dann weinte ich. Ich hoffte, das wirkte schuldbewusst. Das Leben meiner Schwester und meines Bruders hing davon ab.
    »Das denkst du dir doch aus!«, rief Win.
    »Würde ich gerne.« Ich weinte noch heftiger. »Es tut mir leid, Win.«
    »Wenn das stimmt, dann bist du nicht der Mensch, für den ich dich gehalten habe.«
    »Darum geht es ja, Win, du hast mich nie richtig gekannt.« Ich stand auf. »Wir sehen uns nicht wieder. Ich bin bald im Sommerkurs für Tatortarbeit« – warum ich ihn in Bezug darauf anlog, weiß ich nicht; wahrscheinlich wollte ich ihm
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher