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Bittersuesser Verrat

Bittersuesser Verrat

Titel: Bittersuesser Verrat
Autoren: Rachel Caine
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ließ ihren ramponierten Segeltuchrucksack auf einen Stuhl plumpsen und nahm ein Messer, um das Band zu zerschneiden, mit dem die erste Schachtel verschnürt war. Sofort fing sie an zu niesen, weil selbst das Band staubig war. Nur gut, dass sie sich die Zeit nahm, ein Taschentuch herauszuziehen und sich zu schnäuzen, denn während sie das tat, kroch unter einer der Pappklappen eine fette schwarze Spinne hervor, die seitlich an der Schachtel hinunterkrabbelte.
    Claire stieß einen kleinen Schrei aus und machte einen Satz nach hinten. Blitzschnell war Myrnin bei ihr und beugte sich über den Tisch. Er untersuchte die Spinne, wobei sein Gesicht nur Zentimeter von ihr entfernt war. »Nur eine Spinne auf der Jagd«, sagte er. »Sie tut dir nichts.«
    »Das ist doch gar nicht der Punkt!«
    »Ach, papperlapapp. Sie ist doch auch nur ein Lebewesen«, sagte Myrnin und streckte die Hand aus. Die Spinne wackelte unentschlossen mit den Vorderbeinen und krabbelte dann auf seine bleichen Finger. »Nichts, wovor man Angst haben müsste, wenn man richtig damit umgeht.« Er strich sanft über den haarigen Rücken der Spinne und Claire wäre fast umgekippt. »Ich glaube, ich werde sie Bob nennen. Bob, die Spinne.«
    »Sie sind verrückt.«
    Myrnin blickte auf und lächelte, wobei sich in seinem Gesicht Grübchen bildeten. Eigentlich sollte das süß aussehen, aber sein Lächeln war nie so einfach. In diesem lag ein Hauch von Düsternis und Arroganz. »Aber ich dachte immer, das macht einen Teil meines Charmes aus«, sagte er und hob Bob, die Spinne, vorsichtig hoch, um ihn in einen anderen Teil des Labors zu bringen. Claire war egal, was er mit dem Ding machte, solange er es nicht als Ohrring oder Hut oder so tragen wollte.
    Nicht dass sie ihm das nicht zugetraut hätte.
    Sie war sehr vorsichtig, als sie die alte Pappe nun zurückschlug. Wenigstens tauchten keine Verwandten von Bob auf. Der Inhalt der Schachtel war ein absolutes Durcheinander und es dauerte einige Zeit, um die einzelnen Gegenstände zu ordnen. Sie fand uralte Fadenknäuel, von denen sich manche schon in steifen Spiralen abgewickelt hatten. Eine Handvoll von etwas, das aussah wie uralte Spitze mit Goldkante. Zwei geschnitzte, vergilbte Elefanten, die vielleicht aus Ebenholz waren.
    Die nächste Schicht bestand aus Papier - losem Papier, das mit der Zeit starr, brüchig und dunkel geworden war. Die Schrift auf den Seiten war schön, präzise und sehr dicht, aber es war nicht Myrnins Handschrift; sie wusste, wie er schrieb, nämlich weit unordentlicher als das hier. Sie begann, das erste Blatt durchzulesen.
    **
    Mein lieber Freund, ich bin jetzt schon seit einigen Jahren in New York und ich vermisse dich sehr. Ich weiß, dass du böse auf mich warst in Prag, und das kann ich dir nicht verdenken. Ich bin in Bezug auf meinen Vater überhastet und unklug vorgegangen, aber ich glaube ehrlich, dass er mir kaum eine Wahl gelassen hat. Deshalb, mein lieber Myrnin, flehe ich dich an, diese Reise zu unternehmen und mich besuchen zu kommen. Ich weiß, dass du nicht mehr gern reist, aber ich glaube, wenn ich noch ein weiteres Jahr allein bin, werde ich vollkommen aufgeben. Du würdest mir wirklich einen großen Gefallen tun, wenn du zu Besuch kommen würdest.
    **
    Unterzeichnet war das Ganze mit einem dekorativen Schnörkel: Amelie. Amelie, die Gründerin von Morganville und Claires oberster Boss, ihre Besitzerin, auch wenn ihr diese Bezeichnung überhaupt nicht behagte.
    Bevor Claire den Mund öffnen und nachfragen konnte, griffen ihr Myrnins kühle weiße Finger über die Schulter und rissen ihr das Blatt Papier geschickt aus der Hand. »Ich sagte, entscheiden, ob wir für diese Dinge noch Verwendung haben, nicht meine private Post lesen«, sagte er.
    »Hey, sind Sie deshalb nach Amerika gekommen? Weil sie Ihnen geschrieben hat?«
    Myrnin blickte kurz auf das Blatt hinunter, dann knüllte er es zusammen und warf es in eine große Plastikmülltonne an der Wand. »Nein«, sagte er. »Ich b in nicht gekommen, als sie mich darum bat. Ich kam, als ich musste.«
    »Wann war das?« Claire machte sich gar nicht erst die Mühe, dagegen zu protestieren, dass sie die Dinge nicht lesen durfte, um zu entscheiden, ob sie sie noch brauchten. Oder ihn darauf hinzuweisen, dass er erst mal darüber nachdenken sollte, bevor er den Brief den er all die Jahre aufbewahrt hatte, einfach so wegwarf.
    Sie griff einfach nach der nächsten losen Seite in der Schachtel.
    »Ich bin etwa fünf Jahre, nachdem
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