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Bittersuesser Verrat

Bittersuesser Verrat

Titel: Bittersuesser Verrat
Autoren: Rachel Caine
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sie mir geschrieben hatte, hier angekommen«, sagte Myrnin. »Mit anderen Worten: zu spät.«
    »Zu spät wofür?«
    »Willst du mich mit persönlichen Fragen belästigen oder erledigst du jetzt mal das, was ich dir aufgetragen habe?«
    »Mach ich ja«, erwiderte Claire. Myrnin war verärgert, aber das machte ihr nichts aus. Nicht mehr. Sie nahm nichts von dem, was er sagte, persönlich. »Aber ich werde ja wohl noch das Recht haben, Fragen zu stellen, oder?«
    »Warum? Weil du mich erträgst?« Bevor sie antworten konnte, winkte er ab. »Jaja, schon gut. Amelie war damals in schlechter Verfassung - sie hatte alles verloren, verstehst du, und es ist schwierig für uns, immer wieder neu anzufangen. Ewige Jugend bedeutet nicht, dass man nicht müde wird vom dauernden Kämpfen. Nun... als sie mir dann wieder schrieb, hatte sie etwas ziemlich Wahnsinniges getan.«
    »Was?«
    Er machte eine vage Handbewegung, die die Umgebung mit einschloss. »Schau dich um.«
    Claire schaute sich um. »Ähm... das Labor?«
    »Sie kaufte das Land hier und begann mit dem Bau Morganvilles. Es sollte ein Rückzugsort für unsere Art werden, ein Ort, an dem wir offen leben konnten.« Er seufzte. »Amelie ist ziemlich stur. Als ich hier ankam, um ihr zu sagen, dass ihre Bemühungen vergeblich waren, hatte sie sich schon Hals über Kopf in das Experiment gestürzt. Alles, was ich noch tun konnte, war, das Schlimmste abzumildern, damit wir nicht alle abgeschlachtet würden.«
    Vergessen war die Schachtel (und sogar Bob, die Spinne), so sehr war Claire von Myrnins Stimme gebannt. Aber als er eine Pause einlegte, besann sie sich und griff noch einmal hinein, um einen verschnörkelten goldenen Handspiegel herauszuziehen.
    Er war definitiv ›girly‹ und in der Mitte war das Glas zerbrochen, sodass nur noch wenige silbern glänzende Stücke davon übrig waren. »Müll?«, fragte sie und hielt ihn hoch. Myrnin riss ihn ihr aus der Hand und legte ihn beiseite.
    »Definitiv nicht«, sagte er. »Er gehörte meiner Mutter.«
    Claire blinzelte. »Sie hatten eine...« Myrnins stierer Blick sagte ihr, dass sie nicht einmal versuchen sollte, diesen Satz zu Ende zu bringen, deshalb gab sie nach. »Wow, okay. Wie war sie? Ihre Mutter?«
    »Böse«, sagte er. »Ich habe den Spiegel aufbewahrt, um ihren Geist fernzuhalten.«
    Das ergab... ungefähr so viel Sinn, wie das meiste, was Myrnin so von sich gab, deshalb ließ es Claire auf sich beruhen. Während sie in dem Zeug in der Schachtel herumkramte – überwiegend noch mehr Papier und ein paar interessante Kinkerlitzchen - sagte sie: »Suchen Sie nach etwas Bestimmtem oder schauen wir einfach nur so?«
    »Einfach nur so«, sagte er, aber sie hörte an seiner Stimme, dass er log. Die Frage war: Log er aus irgendeinem Grund oder nur so zum Spaß? Bei Myrnin war nämlich beides möglich.
    Claires Finger schlossen sich um etwas Kleines - eine feine Goldkette. Sie zog daran und nach und nach tauchte eine Halskette aus dem Papierchaos auf und drehte sich langsam im Licht. Es war ein Medaillon und darin befand sich ein kleines, gestochen scharfes Porträt einer jungen Frau im viktorianischen Stil. Unter dem Glas legte sich eine Haarsträhne um den Rand, die zu einem winzigen Zopf geflochten war.
    Claire rieb stirnrunzelnd mit dem Finger über die Oberfläche aus altem Glas und dann erkannte sie plötzlich das Gesicht, das sie da anstarrte. »Hey! Das ist Ada!«
    Myrnin schnappte sich die Halskette, starrte einen Augenblick das Porträt an und schloss die Augen. »Ich dachte schon, ich hätte es verloren«, sagte er. »Oder hätte es überhaupt nie besessen. Aber nun ist sie da.«
    Und dann flackerte Ada einfach so durch den Raum. Sie war nicht am Leben, nicht mehr. Ada war ein zweidimensionales Bild, eine Art Projektion des verrückten dampfbetriebenen Computers unter Myrnins Labor; dieser Computer war die echte Ada und enthielt auch Teile der ursprünglichen Ada. Adas Abbild trug immer noch viktorianische Röcke und eine hochgeschlossene Bluse. Ihr Haar war zu einem komplizierten Knoten aufgesteckt, aus dem einzelne Strähnen in ihr Gesicht fielen. Sie sah nicht ganz echt aus - mehr wie eine Person, die richtig gut auf dem Computer generiert wurde, als ein echter Mensch. »Mein Bild«, sagte sie. Ihre Stimme klang seltsam elektronisch, weil sie immer die Lautsprecher benutzte, die gerade da waren; auch Claires Handy war Teil des Surroundsound-Erlebnisses, was so unheimlich war, dass Claire automatisch danach griff
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