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Bittersüße Heimat.

Bittersüße Heimat.

Titel: Bittersüße Heimat.
Autoren: Necla Kelek
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politische und militärische Flanke in Kleinasien durch einen verlässlichen Partner abgedeckt zu sehen, und schätzen den vermeintlich »milden Islam« der AKP – Regierung als Bollwerk gegen den islamischen Radikalismus. Ein allzu enges Bündnis mit Amerika dürfte im muslimischen Land allerdings auf wenig Gegenliebe stoßen, antiamerikanische Stimmungen sind weit verbreitet. Die Türkei könnte vielleicht auch die panislamische Idee von einer Gemeinschaft aller islamischen Staaten wieder aufleben lassen oder befördern. Aber die ideologischen Unterschiede, die religiösen Differenzen und die unterschiedlichen politischen wie wirtschaftlichen Interessen machen dies zu einer Idee von gestern.
    Die türkische Regierung weiß nur zu genau, dass es für sie keinen vielversprechenderen Partner gibt als die EU – weder bei den muslimischen Brüdern in Saudi-Arabien oder im Iran, noch in einer Allianz mit Russland fände sie eine solch weitgehende und fördernde Unterstützung. Mit der EU möchte man sich verheiraten, denn diese Ehe eröffnet die Aussicht auf einen lukrativen Geldsegen. Schon das Moccatrinken, der Verhandlungsprozess, lohnt sich: Er wird von der EU mit jährlich ein bis drei Milliarden Euro für Strukturmaßnahmen unterstützt und bringt, wie ich auf meinen Reisen erfahren durfte, erfreuliche Ergebnisse hervor. So wird der türkischen Administration nicht nur bei der Formulierung von Gesetzen geholfen, sondern es werden auch Frauenhilfsorganisationen unterstützt und historische Stätten restauriert.
    Die Türkei braucht die EU
    Die Türkei braucht die EU. Die Wirtschaft des Landes wird zum größten Teil von internationalem Kapital finanziert und existiert zu 50 Prozent nur als Schattenwirtschaft. Mehrfach ist das Land knapp an einem Staatsbankrott vorbeigeschrammt, zuletzt im Jahr 2000. Nur die internationale Hilfe, der Internationale Währungsfonds IWF , die Unterstützung der Islamischen Entwicklungsbank, die Strukturhilfen der EU, die Zollunion, die Einbindung in den europäischen Markt versetzen die türkische Wirtschaft in die Lage, mittelfristig stabile Strukturen zu entwickeln. Die Wachstumsraten der letzten Jahre signalisieren keine Produktivitätsfortschritte, sondern verdanken sich größtenteils Korrekturen an den lähmenden Weichenstellungen der Vergangenheit. Es sind »Struktureffekte«, die durch die Deregulierung staatlicher Warenwirtschaft, durch die Legalisierung von Schattenwirtschaft und die Öffnung der Märkte entstanden sind. Real ist die aktuelle Lage der türkischen Wirtschaft durch mangelnde Kaufkraft, Kapitalflucht und eine wieder zunehmende Inflation bestimmt.
    So drängt der türkische Ministerpräsident auf Mitgliedschaft in dem von ihm sonst auch gern einmal geschmähten »Christenclub«, dem er vorwirft, einem muslimischen Land die Aufnahme zu verweigern. Nicht weil die Türkei ein muslimisches Land ist, erfüllt sie bisher nicht die Bedingungen, sondern weil sie Staat und Religion nicht trennt, weil die Rechte der Frauen nicht respektiert, keine religiöse Toleranz gewährt werden und weil die politische Lage in der Türkei jene Stabilität vermissen lässt, die sie zu einem zuverlässigen Partner macht.

Christenclub und Islamverein
    Einer der prominentesten Warner vor einer Aufnahme der Türkei in die EU kommt tatsächlich aus dem »Christenclub«. »Historisch und kulturell hat die Türkei mit Europa nur wenig gemeinsam«, hat Papst Benedikt XVI . formuliert. »Es wäre ein Fehler, sie in die Union einzugliedern. Es wäre besser, die Türkei würde eine Brücke zwischen Europa und der arabischen Welt. Die Türkei hat ein islamisches Fundament. Sie unterscheidet sich sehr stark von Europa, das eine Gemeinschaft säkularisierter Staaten mit christlichen Fundamenten ist.« 108
› Hinweis Präzise hat der Papst den entscheidenden Unterschied benannt: Nicht die religiösen Differenzen sind das eigentliche Problem, nicht das Christentum allein unterscheidet Europa von der Türkei, sondern der darauf aufbauende Pro zess der Säkularisierung mit seiner Trennung von Staat und Religion.
    In dem AKP – geführten Land gibt es faktisch keine Trennung von Staat und Religion. Eine Behörde, die Diyanet, entscheidet unter Aufsicht des Ministerpräsidenten quasi als oberste islamische Rechtsinstanz mit fatwas , Rechtsgutachten, was im Sinne des sunnitischen Diyanet-Islam muslimisch korrekt ist. Der Staat bezahlt und bestimmt die Vorbeter, deren Ausbildung wie auch den Bau und den
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