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Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Titel: Bitterer Nachgeschmack - Anthologie
Autoren: Claudia Senghaas , Iny Lorentz
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Minuten«, quält es sich über Adriennes fahl gewordene Lippen, sie schwankt und hätte ohne Maries festen Griff beinahe den Halt verloren.
    »Mademoiselle, Sie brauchen einen Arzt!«, ruft Marie, zu Tode erschrocken, aus.
    »Nein! Bring mir die Schüssel, schnell«, flüstert Adrienne kaum hörbar, während ein weiterer Krampfanfall ihren schmalen Körper erschüttert. »Und kein Wort zum Marschall - zu niemandem«, wispert sie Marie schamhaft zu, »man soll mich so nicht sehen.« Sie stöhnt, sinkt langsam zu Boden und verliert für kurze Zeit das Bewusst- sein. Marie läuft hin und her, weiß nicht, was sie zuerst tun soll. Sie bettet die von Durchfällen und Schmerzen geschüttelte Schauspielerin auf die schmale Couch, hält ihren Kopf und weiß nichts anderes, als inbrünstig zu beten. Irgendwann, als die Pein ein wenig nachgelassen hat, schlägt Adrienne die Augen auf. Schweißperlen glänzen auf ihrer Stirn. »Was ... was ist geschehen? In meinem Innern brennt es wie Feuer. Gib mir Wasser! Und meine Opiumtropfen - die doppelte Dosis!«
    Marie gehorcht, am ganzen Körper schlotternd. Schon nach wenigen Schlucken schiebt ihre Herrin das Glas beiseite.
    In diesem Augenblick öffnet sich schwungvoll die Tür. Graf Moritz von Sachsen hat sich nicht die Zeit genommen anzuklopfen. Mit einem Blick erkennt er die Situation und kniet neben der Leidenden nieder. »Adrienne«, flüstert er fassungslos, als er in ihr leichenblasses Gesicht sieht, umrahmt von wirren hellblonden Locken. »Mein Engel, mein Herz!«
    An Marie gewandt, befiehlt er: »Hol Doktor Silva, rasch! Er ist der beste Arzt von Paris. Mein Diener wird dich begleiten.« Er tritt an Adriennes Lager, nimmt sie auf seine Arme und trägt sie unter den erschrockenen Blicken der Bühnenarbeiter in seine Kutsche, die sofort losprescht und in hohem Tempo über die Straßen von Paris in die Rue des Marais Saint Germain rollt.
    Der Mediziner Silva wird vom Diener des Marschalls von Sachsen aus tiefem Schlaf geweckt und erscheint in kürzester Zeit. Er untersucht die Patientin, ordnet einen Aderlass an und gibt ihr ein kreislaufstärkendes Mittel. Moritz hält die Hand Adriennes, die das Bewusstsein wiedererlangt hat und totenbleich in den Kissen liegt. »Man hat mich vergiftet!«, schreit sie plötzlich angstvoll auf und packt die Hand ihres Geliebten.
    Moritz schaudert. Er zieht den Arzt in einen Nebenraum. »Ist das möglich, Doktor? Die Zofe sagte, man habe ihr einen Korb mit Süßigkeiten geschickt, Confituren und Schokolade. Eine Schachtel ist leer. Sie hat davon gegessen.«
    Der Arzt wiegt bedenklich den Kopf. »Die Symptome weisen eher auf eine Entzündung der Bauchorgane hin - aber eine Vergiftung ist natürlich nicht auszuschließen.«
    »Was kann man tun - wie sie retten?«
    »Um vorzubeugen, könnte ich der Patientin eine Mischung verschiedener Kräuter mit einer kräftigen Dosis Ipecacuanha, das ist Brechwurz, verabreichen. Es ist bei ihrem Zustand natürlich nicht ungefährlich. Ihre Genesung hängt dann nur noch von ihrem Kreislauf und der Stärke ihres Herzens ab! Ich werde auch meinen Kollegen, den renommierten Chirurgen Févart, zu Rate ziehen.«
    »Tun Sie alles, was möglich ist - ich bitte Sie!«
    Doktor Silva mischt in einem Mörser verschiedene Zutaten und verabreicht das Pulver der Patientin in warmem Wein. Dann verabschiedet er sich und Moritz drückt ihm unter Tränen die Hand. Die ganze Nacht wacht er am Bett seiner Geliebten.
    Von draußen stiehlt sich am Morgen ein einziger Sonnenstrahl in das Schlafzimmer der Kranken. Nach Stunden schmerzvoller Krämpfe ist Adrienne endlich eingeschlafen und fühlt sich nach dem Erwachen besser. Marie erkennt ihre Herrin nicht wieder, die bald aufrecht im Bett sitzt und ihr befiehlt, ihr langes Haar aufzustecken und ein wenig Schminke aufzulegen. Ein Wunder ist geschehen - alles hat sich zum Guten gefügt!
    Der Marschall ist überglücklich. Er will sich nicht von seiner geliebten Freundin trennen, doch auf den Rat des Arztes, der fürchtet, dass die Freude sie überanstrengt, lässt er sie schließlich allein. Er verspricht, sobald wie möglich zurückzukehren. Am Nachmittag klopft es ungeduldig an die Tür und Marie, die sich liebevoll um das Wohl der Genesenden kümmert, erkennt den sonst so gelassenen Abbé Bourret kaum wieder, der völlig aufgelöst und mit rotem Gesicht hereinstürzt und sich auf einen Stuhl im Vorzimmer fallen lässt. Er schwitzt und fährt mit einem großen Taschentuch über sein
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