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Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Titel: Bitterer Nachgeschmack - Anthologie
Autoren: Claudia Senghaas , Iny Lorentz
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seinem Gefolge hier auf dem Gut Halt machen wird, um zu speisen. Er braucht regelmäßige Mahlzeiten, der Herzog, leichte Mahlzeiten, wegen seiner Steine. Versteht ihr? Und unser Gutsherr hat ihn eingeladen, hier abzusteigen. Ihr werdet sehen.«
    3. J UNI 1633
    Morgen würde der Herzog eintreffen. Anna und ich waren vorbereitet. Wir hatten Barbaras Schriften studiert und gefunden, was wir suchten: den orangefuchsigen Raukopf.
    Im vergangenen Herbst hatte ich ein prächtiges Exemplar im Wald entdeckt. Die Kappe, die die Farbe einer Rotbuche besaß, weshalb der Pilz sich gut zu verstecken wusste, hatte die Größe meines Handtellers. Darunter leuchteten fleischige, gelbe Lamellen. Der Stiel war lang und dick. Ich hatte ihn zusammen mit anderen Pilzen getrocknet und in einem meiner Ledersäckchen aufbewahrt, die ich mir für solche Zwecke genäht hatte und die an dem Balken hingen, der unsere Stube durchzog. Nun lag der Pilz auf meiner Hand und wir betrachteten ihn beide stolz.
    »Was für ein großartiges Exemplar«, flüsterte Anna. »Meinst du, er wird ausreichen?« Obwohl längst der Abend über das Gut herabsank, machte die stickige Luft das Atmen schwer.
    Ich nickte. Ich war mir sicher. Ich hatte noch nie eine Mahlzeit aus dem orangefuchsigen Raukopf zubereitet, doch ich kannte Barbaras Berichte auswendig.
    »Johann Casimir wird zehn bis 14 Tage nach der Mahlzeit sterben und niemand wird ahnen, dass sein Tod mit seinem Besuch in Heldburg in Verbindung steht«, wisperte ich.
    »Und wenn wir uns irren?« Die Angst erstickte Annas Stimme.
    »Aber nein!«, beruhigte ich. Wir durften uns nicht irren.
    Wir bereiteten den Pilz zu. Wir hackten sein Fleisch klein, kochten ihn ein und verrieben Estragon und Dill in der Soße. Die Dunkelheit sank spät über dem Gut herab. Ich konnte nicht schlafen und setzte mich vor die Ställe, wo mein Blick nach Westen ging und sich festsaugte an dem silberblauen Lichtstreif, der lange nicht verblasste. Als es vollkommen dunkel war, schlich ich in die Wirtschaftsküche und mischte den Pilzsud unter die Gemüsesuppe, von der Grete behauptet hatte, sie wirke Wunder bei Steinen.
    Der nächste Tag begann sehr heiß. Ich eilte in die Küche und verbreitete das Gerücht, dass eine Kuh Anna beim Melken ins Gesicht getreten habe. So wollten wir sichergehen, dass niemand ihrem Fehlen am heutigen Tag Bedeutung beimaß. Anna hatte noch in der Nacht ihre rechte Wange mit rotem Lehm eingerieben.
    Ich konnte mir zwar kaum vorstellen, dass der Herzog seine frühere Gattin nach so vielen Jahren wiedererkennen würde. Anna hatte nichts mehr von der schmalen, zarten Frau mit der weißen Haut, die sie in Gefangenschaft gewesen war. Zudem glaubte er, sie sei tot. Aber natürlich mussten wir sehr vorsichtig sein. Johann Casimir durfte nicht den leisesten Verdacht schöpfen.
    In der Küche machten Grete und Maria eine Menge Wirbel um das Essen des Herzogs. Ich gesellte mich dazu, mimte die Aufgeregte, plauderte und redete, als gelte es das Leben. Alle Frauen und Mädchen waren an diesem Morgen in die Küche geströmt, um Neuigkeiten auszutauschen und sich in Gesellschaft die Wartezeit zu verkürzen. Grete scheuchte jeden weg, der auch nur zu neugierig auf die Suppe blickte, die allein für den leidenden Herzog bestimmt war.
    Gegen elf traf die Vorhut ein, die Johann Casimir und seinen Tross ankündigte. Wir eilten hinaus.
    Wenig später hielt der Herzog Einzug, ein kleiner, beleibter Mann mit gelblichem Gesicht. Zu Gretes großer Enttäuschung reiste er ohne seine Gattin. Ehrerbietig empfing der Gutsherr den Herzog. Wir erhaschten ein paar Blicke auf die beiden, während sie in freundlichem, fast jovialem Ton miteinander sprachen. Einmal drehte der Herzog sich um und blickte den Weg zurück, den er gekommen war, während der Gutsherr auf etwas zeigte und beide herzlich lachten. Johann Casimir bleckte die Zähne. Sie waren schwarz.
    Als eine der letzten hastete ich zur Küche. Dort herrschte ein Betrieb wie in einem Bienenstock. Grete trieb uns zur Eile. Es wurde Zeit, sich um die Mahlzeiten für den Herzog und den Gutsherrn zu kümmern. Zusätzlich war noch der Begleittross zu versorgen. Ich kannte Grete gut genug; sie würde mit äußerster Zuverlässigkeit dafür sorgen, dass Johann Casimir - und nur er - die für ihn bestimmte Suppe bekam.
    Am späten Nachmittag, während draußen die Hitze kochte, brachten die Mädchen endlich die Reste des Essens in die Küche zurück. Es hieß, der Herzog würde erst in
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