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Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Titel: Bitterer Nachgeschmack - Anthologie
Autoren: Claudia Senghaas , Iny Lorentz
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der Abendkühle aufbrechen und sich so lange niederlegen; er dürfte auf keinen Fall gestört werden. Die meisten Gesindeleute, erschöpft von Neugier und Aufregung, zogen sich in ihre Unterkünfte zurück. Auch Maria verließ die Küche. Nur Grete und ich standen noch da. Lachend griff die Magd nach dem Suppentopf und goss den Rest in eine Trinkschale. Sie packte die Schale mit beiden Händen und nahm einen tiefen Schluck.
    »Hm, diese Suppe ist so lecker. So gut ist sie mir noch nie gelungen.«
    »Grete, du solltest nicht...«
    »Ach, lass doch!« Grete trank die Schale leer. »Wäre schade drum.«
    Ich starrte in ihr sommersprossiges Gesicht.
    »Ist was?« Sie hob die Brauen.
    Mit aller Kraft zwang ich mich zu einem Lächeln. »Nein, nichts, Grete.«
    Mechthild, Alke, Gesche, Katharina, Veronika, Käthe, Hildegard, Barbara, Hedwig, Helene, Uta, Gertrud, Barbara, Christine, Adelheid, Bertha, Leopoldine-Sophie, Olga, Marga, Grete ...
    16. J UNI 1633
    13 Tage später starb Grete. In der Nacht, es war noch dunkel, doch im Osten färbte sich der Himmel bereits rosa, tat sie ihre letzten Atemzüge. Wenige Stunden später ging Anna melken. Sie fand Maria weinend bei den Ställen.
    »Ich kann das nicht verstehen«, wimmerte Maria ein ums andere Mal. »Sie war nie krank. Nie!«
    Anna nahm das Mädchen in die Arme und wiegte sie. »Manchmal geschehen solche Dinge«, flüsterte sie in Marias braunes Haar. »Unser Herrgott holt die Seinen zu sich, wann er will. Nicht, wann wir wollen, denk daran.« Dabei dachte sie an Agnes, die wieder einmal nicht für sich selbst, sondern für sie, für Anna von Sachsen, schreckliche Schuld auf ihre Seele geladen hatte.
    Maria machte sich schluchzend aus Annas Armen frei und rannte davon.
    Anna ging ihrer Arbeit nach. Am Abend kehrte sie in die Stube zurück, die sie mit Agnes teilte. Die beiden Frauen sahen einander an. Anna bemerkte plötzlich, dass Agnes' honigblondes Haar grau wurde. Sie war 37. Allein. Ohne einen Mann und ohne Kinder. Annas Herz krampfte sich zusammen, als sie darüber nachdachte, wie es Agnes ergehen würde, wenn sie selbst einmal nicht mehr war. All die Lügen. All die Toten. Agnes würde die Schuld dann allein tragen müssen.
    17. J UNI 1633
    Der Herzog war am gleichen Tag verstorben wie Grete. An seinem Steinleiden, teilten seine Ärzte mit. In Heldburg gab der Gutsherr die Kunde bekannt und zog sich dann zurück. Kaum war er außer Sicht, begann das Gesinde zu klatschen und zu tratschen. Manche weinten. Ich mischte mich unter die Leute. Nach einer solchen Nachricht waren alle erregt und aufgebracht, weinten, stellten tausend Fragen. Niemand schien mehr an Grete zu denken, die man erst am Morgen zu Grabe getragen hatte.
    Maria jedoch nahm mich beiseite. »Hast du von der Suppe des Herzogs getrunken?«, fragte sie.
    »Nein, bist du verrückt geworden?«, herrschte ich sie an. »Die Suppe war allein für den Herzog bestimmt.«
    »Hat Grete von der Suppe getrunken?«
    »Denk doch mal nach! Ausgerechnet Grete soll davon getrunken haben?« Ich blickte streng in Marias junges Gesicht.
    Zweifelnd zog sie sich zurück.
    Ich eilte in Annas und meine Stube. Anna wartete schon auf mich; sie nahm mich in die Arme. Ich spürte ihren Atem in meinem Haar, und zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich alt. Tief sog ich den Duft nach Sonne und Stall ein, den Anna ausstrahlte. Dann reckte ich mich zu dem Balken hinauf und nahm meine Ledersäckchen ab.
    »Ich glaube, es wird wieder einmal Zeit«, sagte ich.
    ENDE
    Nachgereicht:
    Die Geschichte der Anna von Sachsen, die wegen ihrer Affäre mit Ulrich von Lichtenstein auf Betrei ben ihres Ehemannes Herzog Johann Casimir zum Tod und schließlich zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, ist eine der größten Familienskandale des Coburger Herzogtums; der in der Geschichte erwähnte Coburger Taler zeugt eindrücklich davon. Tatsächlich ist die Romanze durch die Aussage einer Kammerzofe ans Licht gekommen. Anna starb am 27. Januar 1613 auf der Veste Coburg.
    Eine Kammerzofe Agnes hat es nie gegeben. Auch keine Köchin Affra, keine Mutter mit ihrer vermeintlichen Tochter aus Komotau, keinen leeren Sarg und natürlich genauso wenig einen orange fuchsigen Raukopf in einer Heldburger Küche. In Wirklichkeit starb Johann Casimir an seinem Steinleiden. Soweit man weiß.

Deana Zinßmeister
Engel von Bremen
    G ESCHE G OTTFRIED SASS SEIT GERAUMER Z EIT auf der Kante des Holzschemels und blickte zu der kleinen Fensteröffnung hinüber. Da
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