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Bissige Gäste im Anflug

Bissige Gäste im Anflug

Titel: Bissige Gäste im Anflug
Autoren: Franziska Gehm
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Bestimmtes dachte, war der Albtraum wieder da: der schwarze Hügel, der Blitz, das Baumskelett, die Tierkrallen und der Schrei.
    Jetzt sah Ludo bereits den Waldrand, von dem aus es über einen kleinen Pfad zum Knochenhügel ging. Einerseits war er froh, den dunklen Wald zu verlassen, andererseits bezweifelte er, dass sie auf dem Hügel in Sicherheit waren.
    Plötzlich spürte Ludo einen Lufthauch. Ein Ast knackte hinter ihm. Mit einem Ruck wirbelte er herum.
    »BUH!«, schrie ihm jemand direkt ins Gesicht.
    »AAHH!«, schrie Ludo und riss die Augen auf. Genau vor seiner Nase hing jemand. Kopfüber. Das Gesicht kam ihm bekannt vor. Kein Wunder. Es war das Gesicht von Dakaria Tepes. Ludo war so in Gedanken versunken gewesen, dass er nicht bemerkt hatte, wie sich Daka hinter ihn geflopst und über ihn an einen Ast gehängt hatte.
    Daka lachte. »Mann, Ludo, du bist heute echt ein Porci-Klaperski!«
    »Ein was?«, fragte Helene, die zusammen mit Silvania am Waldrand stehen geblieben war und sich umdrehte.
    »Ein Porci-Klaperski ist ein ... ein ... ein Zitterkaninchen«, übersetzte Silvania wörtlich.
    »Ein Angsthase«, sagte Ludo. Er sah auf seine Knie. Sie zitterten. Die Hose schlackerte.
    Daka flog vom Ast auf die Erde. Sie stellte sich neben Ludo und legte den Arm um seine Schultern. »Skyzati. Ich wollte dich nicht so doll erschrecken. Nur ein bisschen. Außerdem dachte ich, du würdest es voraussehen.«
    Ludo sah Daka mit großen Augen an und schüttelte den Kopf. Die spontanen Ideen eines zwölfjährigen Halbvampirmädchens konnte wahrscheinlich niemand voraussehen.
    »Guck mal, Ludo.« Helene war ein Stück aus dem Wald getreten und zeigte auf den Nachthimmel. »Nur ein paar kleine Pufferwolken. Nichts mit Gewitter.«
    Als sie sich vorhin bei den Tepes getroffen hatten, hatten die Mädchen sofort bemerkt, dass Ludo nervös war. Sehr nervös. Das war nicht normal. Normal war, dass Ludo ruhig war. Manchmal vielleicht etwas zu ruhig. Aber wenn man hellsichtig war, konnte man wahrscheinlich auch die Ruhe weghaben. Doch an diesem Abend hatte Ludo ständig seine Hände geknetet, auf den Zehenspitzen gewippt und unentwegt hin und her geschaut. Die Mädchen hatten ihn gefragt, was los war. Beinahe hätte Ludo von seinem Albtraum erzählt. Und von dem Geist, der ihn seit ein paar Tagen verfolgte. Aber sie wollten in wenigen Minuten zur Nachtwanderung zum Knochenhügel aufbrechen. Ludo hatte es einfach nicht übers Herz gebracht, seinen Freundinnen diese Nacht zu verderben. Sie freuten sich doch so sehr darauf. Deswegen hatte er ihnen nichts von den Tierkrallen, dem Schrei und dem Geist, sondern nur von dem Blitz erzählt.
    »Genau«, sagte Silvania. »Es gibt heute kein Gewitter. Auch du liegst mal mit deinen Vorhersagen daneben.«
    »Na hoffentlich«, murmelte Ludo und folgte den Freundinnen aus dem Wald. Seine Knie schlotterten noch immer leicht. Sie folgten im Gänsemarsch dem kleinen Pfad, der zum Fuße des Hügels führte. Ludo betrachtete den Himmel. Helene hatte recht. Es waren tatsächlich nur ein paar kleine Wolken zu sehen. Wie friedliche weißgraue Schafe zogen sie langsam über den dunkelblauen Nachthimmel. Konnte es sein, dass er sich dieses Mal mit seiner Vorhersage geirrt hatte? War wirklich alles nur ein Albtraum gewesen? Ludo wünschte es sich. Doch sein Gefühl sagte ihm etwas anderes.
    Je näher sie dem Knochenhügel kamen, desto leiser wurden alle. Als sie den Fuß des Hügels erreichten, wurde es vollkommen ruhig. Silvania, die Helene eben noch eine Szene aus einem Liebesroman nacherzählt hatte, brach mitten beim Kuss ab.
    Daka, die eben noch den aktuellen Hit von Krypton Krax vor sich hingesummt hatte, verstummte. Mitten im Refrain.
    Die vier Freunde blieben einen Moment stehen und sahen zum Hügel hinauf. Im Licht des Vollmonds hob er sich schwarz und mächtig wie der Rücken eines riesigen, jahrhundertealten Reptils vom dunkelblauen Nachthimmel ab. Auf dem Gipfel ragte ein toter Baum in die Höhe. Seine kahlen grauen Äste räkelten sich wie die Finger einer Knochenhand dem Vollmond entgegen.
    Daka trat mit dem Fuß vor einen Stein. Er rollte ein Stück den Hügel hinauf, dann wieder ein Stück nach unten, bis er in einer kleinen Grasmulde liegen blieb. Die vier Nachtwanderer sahen auf den Stein in der Mulde.
    Stimmte die Sage, die ihnen Zapko Schwarzer erzählt hatte? Bestand der ganze Hügel aus vierhundert Jahre alten Knochen? Lagen unter dem Gras, dem Geröll und der Erdschicht tatsächlich
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