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Bismarck 01

Bismarck 01

Titel: Bismarck 01
Autoren: Karl Bleibtreu
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Hilfe anzugehen. Den Bock zum Gärtner machen!«
    »Herzbruder von und zu Bismarck ist nämlich praeceptor Germaniae !« lallte die Stimme eines bemoosten Seniors, der schon halb »hinüber« war und schon den Bierschlucker hatte. »Der hat den rechten Hofton aus hochfeinen Assembleen im jöttlichen Spreeathen. Da parliert zwar jeder französisch, aber schimpft auf die Franzosen, weil sie nicht solche Esel und Schlappschwänze sind wie der deutsche Michel mit dem beschränkten Untertanenverstand. Das ist die königlich preußische Milch der frommen Denkungsart. Die Prinzen marschieren mit ihren Mätressen auf, knickebeinige Hofleute lecken ihren Speichel auf und die Damen wischen mit ihren Krinolinen den Staub von den allergnädigsten Stiebeln. Da lernt man teutschen Patriotismus.«
    Durch das wiehernde Gelächter schnitt Ottos helle Stimme: »Halt's Maul! Ihr alle schwatzt über Dinge und Kreise, die ihr nicht kennt. Die Extravaganz eurer Utopien ersetzt doch nicht ganz die Formen der guten Gesellschaft. Das hätt' ich euch nie vorgehalten, doch eure alberne Überhebung zwingt mich dazu. Ihr alle seid älter, doch ich habe weit mehr von der Welt gesehen als ihr. Euer Gewäsch über die höheren Stände entstammt einer Kinderfibel für die reifere oder unreifere Jugend der Demokrateriche.«
    »Raus, raus!« scholl der Chorus, »wir tun dich in Verschiß!« Der Jungherr drehte der Burschenschaft den Rücken und ging davon. –
    Die Hambacher Feier fiel schon in Ottos erstes Semester. Seinen Ärger darüber spülte er mit sehr viel Milchpunsch hinunter, den seine amerikanischen Freunde zu ihrem Nationalfest, der sogenannten Unabhängigkeitsfeier, am 4. Juli gut zubereiteten. Der Märker, ein seltsames Gemisch von kindlicher Jugendlichkeit und männlicher Frühreife, weit über seine Jahre hinaus, trank von ganzer Seele auf das Wohl von Washington und Franklin.
    »Wär' ich nicht Preuße, so möcht' ich Amerikaner sein. Hoch die letzten Mohikaner und Lederstrumpf dazu! Das war'n urgesunder Boden, Urwald und Prärie, da läßt sich's frei sein.«
    »Ja, hier in Europa drängen sich die Menschen zu dicht, wie Hammelherden«, meinte King geringschätzig. »Und der Boden ist verbraucht, da wächst nichts Rechtes mehr.«
    Motley wies ihn zurecht. »So was sollte unsereins nichtsagen, denn große Männer sind bei uns etwas Rares, in Europa gab es davon eher zu viel.«
    »Ach was! Gelehrte, Dichter, Künstler, Soldaten – aber wenig rechte Staatsmänner, die züchtet man bei uns viel besser.«
    »Was nennst du einen rechten Staatsmann?« fragte Otto aufmerksam.
    »Solche, die keine Phantasten sind wie Napoleon und – verzeih – euer Friedrich der Große. Die sogenannten Eroberer bauen auf Sand.«
    »Unser märkischer Sand war doch fest genug, wie du siehst.«
    »Nichts sehe ich. Hier Jena, dort Waterloo. Daß Preußen weiterlebt, verdankt es doch nur der Volkserhebung aus eigener Kraft, und die paar Staatsmänner dabei, Stein und Hardenberg, waren nicht geborene Preußen.«
    »Darin hat King recht«, fiel Coffin ein. »Überhaupt scheint viel dauerhafter, was die Masse vollbringt, als was der einzelne wagt. Die großen Genies sind meist ein großes Unglück.«
    »Ja freilich«, ergänzte Motley. »Ich habe den Plan, mal eine Geschichte der Holländer Republik zu schreiben, weil für uns Amerikaner die bloß monarchischen Staaten kein Interesse haben. Da gab es wohl einzelne Talente, doch den unglaublichen Aufschwung des kleinen Volkes führte allein die Masse herbei.«
    »Hm!« Otto strich sich langsam mit der Hand über die Stirn. »Ist das nicht einseitig? Wir wollen einen Kompromiß schließen und sagen: der Einzelne und die Masse. Denn etwas wirklich Großes wird die Masse nur vollbringen, wenn ein großer einzelner sie lenkt, und der einzelne ist ohnmächtig ohne die Masse. Ein Staatsmann scheint mir also nur jener, der am klarsten die Ziele der Masse erkennt und sich ihr anpaßt.«
    »Das wird selten vorkommen«, meinte Motley bedächtig, »oder spät. Denn der Geniale gerät stets in Konflikt mit seinen lieben Nebenmenschen, der Masse. Weil er klarer sieht, ist er weit voraus, und weil man ihn also nicht auf ausgetretenem Gleise in der Nähe sieht, hält man ihn oft gar für rückständig. Beispiel: Julian Apostata.«
    »Ein übles Beispiel.« Otto hob sein Glas. » Ergo bibamus! und freuen wir uns, daß wir keine Genies sind.« Und er stimmte mit nicht ganz taktfester Stimme, deren Lage zwischen Tenor und Bariton
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