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Bismarck 01

Bismarck 01

Titel: Bismarck 01
Autoren: Karl Bleibtreu
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so gesegnetes Wirken blieb höheren Orts nicht unbemerkt: der rector magnificus hatte ihn obenan auf seiner schwarzen Liste zu wahrscheinlicher Relegierung. Seine Magnifizenz verzeichneten den nie studierenden Unstudiosus als besonders räudiges Schaf. Der böse Geselle brachte wohl Katzenmusiken aus, wobei er schauderhaftmiaute, aber bei ihm selber war noch nie ein richtiger Kater auf Besuch.
    »Der verträgt unglaubliche Quantitäten«, meldete der Pedell nicht ohne einen Anflug von Ehrerbietung. »Ein hochbegabter junger Herr!« Die Schenkmamsells warfen ihm feurige Blicke zu, ohne Gegenliebe zu erwecken. Auf diesem Punkte blieb er ein Eiszapfen, um so kränkender für weibliche Reize, als er sich der ritterlichsten Artigkeiten befleißigte. Wenn ein Bezechter eine »Philisterin« ärgerte, verulkte oder verquatschte, so konnte er einer Anrempelung durch den Mensurentiger Otto gewärtig sein, und wenn andere von ihren Eroberungen sprachen, so gähnte er. Trug man ihm bedeutungsvoll zu seiner Belehrung die Mär vom keuschen Joseph und Frau Potiphar vor, so lachte er zwar gemütlich, verbat sich aber weiteres Aufziehen mit einer so höflichen Tonart, daß jedem, den nicht nach Abfuhr einer sausenden Prim gelüstete, die Zunge festfror. »Du gibst dem Paukarzt bald zu viel zu tun«, lachte der Vandale Graf Brockdorf, ein stämmiger Holsteiner, der mit ihm dumme Streiche machte. In solcher Weisheit und Herrlichkeit lebte der berühmte Kollegienschwänzer dahin, nur seine intimsten Busenfreunde wußten es anders. Denen blieb nicht unbekannt, daß er zwischen Mensuren und Saufgelagen noch Zeit gewann für massenhafte wahllose Leserei, wild durcheinander auf allen Gebieten schöner Literatur und Geschichtsschreibung. Er bevorzugte dabei Englisches und zitiert mit Vorliebe aus Shakespeare. Dies geschah im Umgang mit seinen amerikanischen Freunden, seinen Unzertrennlichen.
    Letztere fühlten sich zu ihm gleich anfangs hingezogen durch seine vorzügliche Kenntnis ihrer Muttersprache, und um diese noch mehr zu vervollkommnen, dachte er von ihrem Verkehr zu profitieren. Bald aber wurde daraus eine Freundschaft auf Grund tieferer seelischer Gründe. Das freie Republikanertum schien ihm ein Ziel, aufs innigste zu wünschen, jedes tüchtigen Mannes würdig. Begeistert lauschte er den Schilderungen von der Weite in Zeit und Raum, der Riesenhaftigkeit des transatlantischen Freistaates. Und mit dem einen, einem nachdenklichen, ruhigen Jüngling namens John Lothrop Motley, verband ihn der Sinn für Geschichtliches, so lückenhaft und unregelmäßig sein eigenes Wissen nach dieser Richtung war. Mitchell G. King und Anthony Coffin, welche der Ruf Göttingens gleichfalls übers Weltmeer herbeilockte, nahmen wie Motley nur oberflächlich an dem studentischen Treiben teil, und wenn ihr Freund Otto darin unterzusinken drohte, holten sie ihn eiligst zu einem Bummel in die Umgebung ab. wobei auf einmal ganz andere Seiten des Sauf- und Raufboldes sich offenbarten. In freier Natur ging ihm das Herz auf, und er gedachte schwärmerisch des Landlebens, in dem er auf heimatlichen Gütern seine Kinderzeit und seine Ferien verbrachte. Eigentlich Märker, fühlte er sich halb als Pommer, weil die Gutsbesitze Kniephof, Külz, Jarchelin im pommerschenKreis Naugard lagen. Der Hauptstammsitz lag aber in der Altmark.
    »Wo stammst du eigentlich her? Wo liegt Schönhausen?« forschte Motley.
    »Zwischen Stendal und Tangermünde, Kreis Jerichow, Provinz Sachsen. Da saßen wir seit 500 Jahren als Ritter, vorher in Stendal als Bürger. Merschtendeels haben wir das Schwert geführt, fast immer gegen die Herren Franzosen.«
    »Seit wann denn und in welchen Kriegen?«
    »Seit den Hugenotten, wenn du's wissen willst. Wir waren eifrige Protestanten. Im Dreißigjährigen Krieg war einer, der hieß August, unter Bernhard von Weimar, und da hat er leider mithelfen müssen, das Elsaß für Frankreich zu erobern. Der arme Teufel konnte nichts dafür, doch mir ist's wie ein Makel auf unserm Schilde. Ich wollt', ich könnte einen guten deutschen Hieb tun, um Elsaß zurückzugewinnen. Doch dazu kommt's ja nie. Ein anderer focht als Soldoffizier für die Hugenotten gegen den Franzosenkönig. Sein Porträt hängt in Schönhausen, er war groß im Beutemachen und Rheinweinsuff. Zwei meiner Ahnen fochten gegen Louis Quatorze und mein Großvater bei Roßbach. Mein Urgroßvater hatte nicht dies Glück, er fiel bei Chotusitz als Dragoneroberst. Das war ein gewaltiger Nimrod vor
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