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Bismarck 01

Bismarck 01

Titel: Bismarck 01
Autoren: Karl Bleibtreu
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daß wir Schnäbel und Klauen haben.«
    »Gut gegeben, das saß! Habeat sibi! « lärmten die Beisitzer der Kneipe.
    »Na, Windthorst, sei gemütlich und schraube nicht!«
    »Das möcht' ich ihm auch nicht geraten haben!« murrte Bismarck in sich hinein. Denn schon wuchs er auf dem Fechtboden an Wohlgefallen vor Gott und den Menschen, den Fechtmeister hier als den studentischen Herrgott verstanden. »Dieser krasse Fuchs schlägt pikfeine Terzen!« trug er das Lob des Frischlings auf dem Fechtboden herum. Dem winzigen Studiosus Ludwig Windthorst bangte doch etwas vor einer Kontrahage, obschon er das Frotzeln nicht lassen konnte. Sein spöttisches, kluges Fuchsgesicht zog sich manchmal in häßliche Falten, wenn er von der Seite den langen Laban ansah, dessen Körperkraft und strotzende Lebensfülle er beneidete. Wenn ich den je im Leben wiedertreffe, dachte er instinktiv, dann sind wir geschworene Feinde.
    Vivat academia! Damals mehr denn je vorher und nachher schien der deutschen Jugend ihr Universitätsleben die immergrüne Oase in der grauen Wüste nach geistestötender Schulroutine und vor Eintritt in die staatliche Knechtschaft. Die Saturnalien der alten römischen Sklaven sahen nicht wildere Ausgelassenheit. Obschon vom Staate mißgünstig überwacht seit der Demagogenhetze, bewahrten die Hochschulen eine bestimmte, in sich abgegrenzte Freiheit, wo ein freies Wort nicht gleich polizeiliche Willkür nach sich zog. Diese akademische Ungebundenheit artete freilich in einen Müßiggang aus, den die strebsame Jugend späterer Zeiten nicht in solcher Vollendung kannte. Wenn jeder sehnlich nach dem Examen drängt, um einen Beruf mit entsprechender Löhnung zu erringen, und das Brotstudium jede andere ideale Regung zurückdrängt, kann man nicht mehr so viele bemooste Häupter großziehen wie das damaligestudentische Leben, alte Kämpen, die aus Saufen und öffentlichem Unfug einen Beruf und die einzig menschenwürdige Beschäftigung machten. Darin gaben die Burschenschafter den Korpsiers nichts nach, beide vertilgten unzählige Ladungen von Tabak in langen Pfeifen und unzählige Tonnen Bier, deren Rundung sie selber zu gleichen strebten mit aufgedunsenen Wangen und dicken Wänsten. Betrunken zu Bett und betrunken heraus, so bestellt der deutsche Student sein Haus. Und unter Schimpfworten wie Fuhrknechte sich zu prügeln, wäre unfein, aber sich die werte Visage mit Schmissen zu zerhacken, das unterscheidet den philosophischen Jüngling vom elenden Philister. In diesen Jungbrunnen genialer Bierromantik, in dem unendliche Geschlechter angehender Philister herumplätschern, tauchte Jungherr Otto mit einem Sprunge unter. Von allen Lärmschlägern im still-ehrwürdigen Göttingen war er der lauteste. Seine blaue, verschnürte Samtjacke, seine Kanonenstiefel und sein kokettes Käppi bildeten den Mittelpunkt ungeheurer Heiterkeit mit wenig Witz und viel Behagen. Seine nächtlichen Ruhestörungen nahmen einen beängstigenden Umfang an, und die Zahl seiner Karzerstrafen stand feierlich mit Kreide auf dem Tische seiner Bude vermerkt. Seine wütige Bulldogge erwarb sich den wohlverdienten Abscheu aller ruhigen Bürger, da sein Herr die Anlegung eines Maulkorbes für eine Beschränkung der edelsten Viecherrechte hielt. Die Menschenrechte vertrat er mit der Klinge, indem er seine Handschrift sehr leserlich auf feiste Backen einschrieb. Der Mensch ist frei geboren, ist frei! jodelte er mit Schiller und Rousseau durch die Gassen und verqualmte jede Kneipe schon ganz allein mit seiner ellenlangen Pfeife. Groß war er im Vertilgen von Bierjungen, größer beim Einpauken als Sekundant, am größten als eigener Paukant. Mit dem Corpus Juris unterhielt er nicht mal eine Bekanntschaft auf Grüßfuß, der Historia nickte er nur selten von ferne flüchtig zu, ein berühmter Professor Hugo erkundigte sich öffentlich mit ironischer Neugier nach einem Studiosus v. Bismarck, der bei ihm Vorlesungen belegte, von dem er aber nie auch nur die Nasenspitze sah. Wenn er mal gnädigst ins Kolleg spazierte, so erzeugte solch Naturwunder einen Menschenauflauf. Bei Tage lag er auf den Fechtböden, bei Nacht in der Kneipe. Seine Kontrahagen mehrten sich rühmlich, sein Scharfblick für gutsitzende Terzen und Quarten erwarb ihm einen Ruhm, der bei allen Nahtflickern zum Himmel schrie. Er handhabte die heiligen Losungsworte: »Sie sind ein dummer Junge!« mit einer Geläufigkeit, die das »Tusch« der Korona zu einem Seufzer der Bewunderung gestaltete. Ein
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