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Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals
Autoren: Jörg Juretzka
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möglichst so, dass Ihre Überreste bald gefunden werden. Okay?«
    Und ich nickte zu einer der vielleicht bizarrsten Abmachungen meines bisherigen Lebens.
    »Sie sind also Polizist? Welches Kommissariat?« Dr. Korthners Augen funkelten misstrauisch durch gleich zwei Lagen Brillengläser hindurch. Die äußeren die einer Schutzbrille, wie auch Handwerker sie verwenden.
    »Ich bin kein Polizist«, stellte ich richtig. »Mein Name ist Kryszinski. Ich bin Privatdetektiv.«
    Er streckte den Arm in unmissverständlicher Manier zur Tür, deutender Zeigefinger und alles, doch ich bremste ihn mit einer Handbewegung. » Und « , fuhr ich eindringlich fort, »ich bin der Fahrer des Wagens, der den unbekannten Toten von letzter Nacht angefahren hat.«
    »Aha«, meinte er mit einem nachdenklichen Blick auf die Leiche unter dem blutdurchtränkten Tuch, zog sich erst die Handschuhe und dann auch die Maske, die Schutzbrille und schließlich die hellgrüne Haube vom Kopf und ließ alles nacheinander in einem großen Treteimer verschwinden. »Das trifft sich gut«, fand er, trat an ein ebenfalls per Fußhebel betriebenes Waschbecken und wusch sich kurz und gründlich die Hände. Trocknete sie unter einem Gebläse. »Ich hätte da nämlich ein paar Fragen an Sie.«
    Jetzt zeigt er dir gleich den nackten, halb ausgeweideten Toten, dachte ich mit Grausen. Löffelt vielleicht ein Auge raus oder so was.
    Doch der Doktor startete in eine andere Richtung und winkte mir, ihm zu folgen. Er hatte dunkle, struppige Haare, außerordentlich dicht bis auf eine kreisrunde und völlig flache Stelle an seinem Hinterkopf. Wie die Tonsur eines Mönchs. Oder als ob ihm da einer eins mit ’ner Polizeikelle übergebraten hätte.
    »Was ich von Ihnen gerne erfahren würde«, begann ich vorsichtig, »ist, ob Sie an dem Toten etwas festgestellt haben, das eher untypisch für einen Verkehrsunfall erscheint.«
    »Falls Sie Wasser in der Lunge oder ein Projektil im Schädel meinen«, erklärte der Doktor leichthin, »kann ich nur sagen: bisher noch nicht.«
    Er schaltete ein breites Neonleuchtfeld an der Wand ein, zog ein paar Röntgenaufnahmen aus einem Umschlag und schob sie in die Klemmhalterungen vor dem Bildschirm.
    »Ungewöhnlich viele Frakturen, ungewöhnlich heftig«, stellte er fest und deutete mit wedelnder Hand vage auf das eine oder andere splittrige Detail der Aufnahmen. »Was für ein Auto fahren Sie?«
    »Einen Toyota Carina.«
    »Einen PKW also?«
    Ich nickte, der Doktor schüttelte den Kopf und besah sich die Bilder mit neu erwachtem Interesse.
    »Ich hatte auf einen Geländewagen getippt«, meinte er. »Heutzutage schaffen es eigentlich nur noch diese Allradpanzer, Fußgänger dermaßen zu zermalmen. Was für ein Baujahr hat Ihr Wagen?«
    »77.«
    »Ah. Also noch aus der Zeit vor der Stromlinienform, richtig? Das erklärt einiges. PKWs sind seither wesentlich fußgängerfreundlicher geworden. Doch das wirft nun völlig neue Fragen auf. Sehen Sie sich das an:« Er deutete, ich blickte, doch was genau ich da sah, wollte sich mir nicht erschließen. »Der Beckenbereich. Deshalb hatte ich an einen Allradwagen gedacht. Selbst bei einem PKW im eckigen Siebziger-Jahre-Design und selbst bei einer Person von gerade mal, na, einem Meter siebzig Körperhöhe sollte das Becken bei seitlichem Anprall normalerweise relativ unbeschadet bleiben. Es sind die Beine, die in dem Fall die meisten Frakturen davontragen. Doch jetzt sehen Sie sich dieses Becken an.«
    Das tat ich die ganze Zeit schon, und ebenfalls schon die ganze Zeit über versuchte ich, das Gesehene mit meiner Vorstellung von einem Teil des menschlichen Knochenbaus in Deckung zu bringen. Es ging nicht.
    »Dieses Becken hat die volle Wucht des Aufpralls abbekommen. Dazu natürlich der Lendenwirbelbereich und die Oberschenkel bis runter zu den Knien. Die Unterschenkel wurden dagegen vergleichsweise wenig in Mitleidenschaft gezogen. Das ist eigentlich typisch für den Impact eines großen Geländewagens, wo sich Kühler und Stoßstange ungefähr auf dieser Höhe befinden. Jetzt sagen Sie mir, Sie fahren einen wesentlich niedrigeren PKW. Was schließen wir daraus?«
    Dr. Korthner blickte mich abwartend, geradezu prüfend an.
    »Der Typ stand nicht und er ging nicht«, antwortete ich.
    »Genau.« Der Doktor nickte. »Natürlich müssen wir Ihren Wagen noch genau vermessen, doch vorab würde ich davon ausgehen, dass sich das Opfer im Moment des Zusammenpralls in einer halb knieenden Position
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