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Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals
Autoren: Jörg Juretzka
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befand.« Er nickte sich selber zu, offenbar zufrieden mit seiner Formulierung.
    »Man hat ihn mir vor den Wagen gestoßen«, erklärte ich. »Das versuche ich der Polizei begreiflich zu machen.«
    »Ja, das wäre eine mögliche Erklärung für die eingeknickte Haltung«, meinte der Mediziner, vage. »Auszuschließen ist es jedenfalls nicht.«
    Er begann, die Aufnahmen wieder aus ihren Halterungen zu zupfen und sie zurück in den Umschlag zu schieben.
    »Ist Ihnen sonst etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
    Der Doktor dachte einen Augenblick nach. »Ja«, meinte er dann. »Kaum was in den Taschen. Ein paar Euro-Scheine, etwas Kleingeld, aber keinerlei Papiere und vor allem keine Schlüssel.«
    »Vielleicht sind sie rausgeflogen?«
    »Möglich. Aber die ermittelnden Beamten haben mir mitgeteilt, dass am Unfallort nichts dergleichen gefunden wurde.«
    »Gut, doch ich wollte eigentlich auf etwas anderes hinaus: Haben Sie an dem Leichnam eventuell Spuren von Gewalt vor dem Unfall festgestellt? Irgendetwas, das meine Aussage unterstützt?«
    »Ach du je. Bisher hab ich es gerade mal bewerkstelligt, Torso und Extremitäten einigermaßen anatomisch korrekt auszurichten. Damit wir eine Röntgen-Dokumentation bekommen. Und kein Puzzlespiel.«
    »Ließe sich so etwas denn überhaupt noch feststellen?«
    Er schnalzte abfällig mit der Zunge. »Genauso gut könnte man versuchen, anhand einer groben Mettwurst nachzuweisen, ob das Schwein vor dem Schlachten misshandelt wurde.«
    »Aber nur mal angenommen, Sie finden etwas Entsprechendes. Oder etwas anderes, das mich entlastet oder einen Hinweis auf die Täter liefert. Könnten Sie mich auf dem Laufenden halten?«
    Dr. Korthner knipste das Licht in dem kleinen Raum aus und wir gingen zurück in die strahlende Helligkeit des pathologischen OPs. Er griff sich eine frische Haube, riss die Verpackung einer neuen Schutzbrille auf, zupfte ein Paar Gummihandschuhe aus einem Spender.
    »Haben Sie schon mal was von gerichtsmedizinischer Diskretionsverpflichtung gehört?«
    »Haben Sie schon mal jemanden für jemanden umgebracht, ohne vorher gefragt oder zumindest nachher dafür bezahlt worden zu sein?«, fragte ich zurück.
    Er schüttelte den Kopf, ließ damit allerdings, wie ich fand, offen, ob er ganz allgemein verneinte oder nur den Part ohne spätere Bezahlung.
    »Weder noch«, fügte er dann plötzlich hinzu und grinste verschmitzt.
    Doch irgendwelche Zugeständnisse holte ich nicht aus ihm heraus. Also wandte ich mich zum Gehen, reichte ihm aber für alle Fälle noch eine meiner Geschäftskarten. Er betrachtete sie skeptisch, las, drehte dann den Kopf zur Seite und blickte sinnend in die architektonisch limitierte Ferne.
    »›Kristof Kryszinski‹«, sann er. »Ich weiß, Sie haben ihn vorhin schon genannt, doch erst jetzt, wo ich Ihren Namen geschrieben sehe, fällt mir ein, woher er mir so geläufig ist.« Er riss den Kopf zu mir herum und seine Augen blitzten. » Sie sind Kristof Kryszinski? Wissen Sie eigentlich, dass Sie im Labor des Essener Klinikums den Status einer Berühmtheit haben?«
    Ein Umstand kompletter Neuigkeit für mich.
    »Wir haben dort, als ich noch Laborarzt war, regelmäßig die Blutproben polizeilicher Untersuchungen analysiert, darunter auch einmal eine von Ihnen. Das Ergebnis hängt gerahmt im Büro des Stationsleiters.«
    Er wirkte völlig begeistert. Ich weniger, denn unterschwellig ahnte ich, worauf das hinauslief.
    »Weder vorher noch jemals nachher ist eine höhere Dosis und größere Vielfalt an psychotropen Wirkstoffen in einer einzigen Blutprobe nachgewiesen worden! Mann, was haben wir nicht alles gefunden! Opiate, Barbiturate, THC, Amphetamine, diverse Halluzinogene …«
    »Das muss länger her sein«, unterbrach ich seine Aufzählung. »Seither bin ich doch um einiges ruhiger geworden.«
    »Was meine Kollegen und ich uns immer gefragt haben: Sie wurden ja damals in Ausübung einer Straftat verhaftet, waren also nicht nur bei Bewusstsein, sondern obendrein aktiv. Wie … wie haben Sie es geschafft, diese Vielzahl an teilweise gegenläufig wechselwirksamen Substanzen physisch und vor allem auch psychisch zu koordinieren?«
    »Schwer zu sagen«, gab ich zu. »Aber wenn ich mich recht erinnere, brachte eine halbe Flasche Wodka für gewöhnlich so was wie ein bisschen Ordnung in den ganzen Kuddelmuddel.«
    Er nickte. »Muss wohl.«
    »Außerdem waren wir ja wohl alle mal jung, oder?«
    »Wenn auch mit durchaus unterschiedlichen Hobbys«, meinte er
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