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Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals
Autoren: Jörg Juretzka
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sein?«
    »Dr. Korthner«, sagte Menden, ohne mich dabei anzusehen. »St.-Marien-Hospital. Und jetzt lassen Sie uns arbeiten.«
     
    »Hauptkommissar Menden hat gesagt, Sie sollen meinen Führerschein rausrücken«, behauptete ich an dem panzerverglasten kleinen Schalter im Keller des Präsidiums.
    Der diensthabende Beamte verlangte mürrisch meinen Personalausweis, kramte meinen Lappen und einen Wisch aus einem Ablageschrank, ließ mich den Wisch unterschreiben und schob mir die rosa Pappe raus.
    Das ging mir nun doch ein bisschen zu glatt.
    »Was wäre, wenn ich über Mendens Anweisung gelogen hätte?«, fragte ich, Führerschein tief in der Jackentasche und Füße schon mal bereit, die Treppen zum Ausgang hochzusprinten.
    »Dann wäre Ihre Fahrerlaubnis gar nicht erst bei mir gelandet«, meinte der Beamte müde und verwies auf das Schild überm Schalter. »Wir sind die Ausgabe, Sie Schlauberger. Verwahrung ist woanders.«
    Ich machte »Hm« und verzog mich.
    Kristof Kryszinski scheitert erneut beim Versuch, die Justizbehörden zu ficken. Doch er wird es weiter probieren.
     
    »Dr. Korthner?«, fragte ich über das sirrende Geräusch eines hochdrehenden Elektrogeräts hinweg, worauf der kleine, weißbekittelte Mann am Seziertisch zusammenzuckte und zu mir herumfuhr.
    »Wie sind Sie hier hereingekommen?«, blaffte er mich durch seine Chirurgenmaske hindurch an. Routiniert schaltete er die kleine, blutige Elektrosäge in seiner Rechten ab und zog mit der freien Hand ein Laken über das, woran er da gerade herumgesägt hatte. Ob aus Gründen der Pietät war nicht zu sagen. Mir kam es eher so vor, als ob niemand sehen sollte, was für ein besonders schönes Stück er sich da gerade heraustrennte, um es heute Abend daheim in die Pfanne zu hauen. Aber vielleicht ging auch nur mal wieder meine Fantasie mit mir durch. »Ich frage Sie noch mal: Wie sind Sie hier hereingekommen?«
    »Ich hab an der Pforte gesagt, dass ich Sie im Rahmen polizeilicher Ermittlungen sprechen muss«, antwortete ich und sah mich um. Die pathologische Abteilung des katholischen Krankenhauses befindet sich praktischerweise direkt neben der im Fachjargon L-Haus genannten Leichenkammer im Keller. Es war angenehm kühl hier und hell, wenn auch nicht unbedingt freundlich. Beide Seziertische in dem weißgekachelten Raum mit den grauen Bodenfliesen waren belegt, beide Leichen mit Tüchern bedeckt. Auf dem vor Dr. Korthner sickerte an mehreren Stellen Blut durch. Unter dem Tisch arbeitete eine Pumpe mit Schlürfgeräuschen, für die es kein anderes Attribut gibt als revoltierend.
    Es roch dumpf nach Fäkalien, bitter nach verbranntem Fleisch, süßlich nach angesägten Knochen und ätzend nach Sagrotan. Wonach es wider Erwarten nicht riechen wollte, waren Tod und Verwesung.
    Zwischen den, tja, leichenblassen Füßen der angesägten Leiche lag ein Bündel bunter, blutiger und zerrissener Klamotten.
    Der gar nicht so entfernt an Grillpartys erinnernde, angebrannte Geruch kam von dem anderen Tisch. Der Tote dort lag eng zusammengekrümmt auf der Seite. Hinter seinen schwarz verkohlten, abblätternden Füßen, aus denen oben gelblich die Reste von Zehenknochen herausragten, lag ein Paar ebenfalls völlig verschmurgelter Ledersohlen. Dazu nicht mehr als eine Handvoll kleiner, schwarz umrandeter Stoffreste.
    »Suizid«, meinte Dr. Korthner lapidar. »Kleiner Selbständiger, Änderungsschneider. Alleinstehend. Insolvent, zwangsgeräumt. Hat erst noch seinen Hund ins Tierheim gebracht, ist dann vom Tierheim aus schnurstracks nach Hause, hat sich im Hof mit Benzin übergossen und angesteckt.«
    Das muss, dachte ich so für mich, eine einsame Strecke Wegs gewesen sein.
    »Ich weiß nicht, wie’s Ihnen geht«, dachte ich laut, »aber ich frag mich bei so was immer, wie ich wohl mal enden werde.« Und irgendwie entrang sich mir ein Seufzer dazu.
    Das brachte mir einen äußerst schrägen Blick ein.
    »Was immer Sie tun«, meinte der Doktor mit großem Ernst, »sehen Sie zu, dass es final ist. Kommen Sie uns hier nicht mit so ’nem halbgaren Selbstmordversuch. Oder wenn, dann erwarten Sie bitte kein Mitleid. Wir reißen uns hier sieben Tage die Woche rund um die Uhr den Arsch auf, Menschen am Leben zu halten. Da kommt kein Verständnis auf für Leute, die ihres wegzuschmeißen versuchen. Also wenn schon, dann machen Sie’s wie er hier: erst das Haustier versorgt und dann sauber und endgültig Schluss gemacht. Und, als kleinen, persönlichen Gefallen an mich,
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