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Bis unter die Haut

Bis unter die Haut

Titel: Bis unter die Haut
Autoren: Julia Hoban
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gemeinsamen Erinnerungen am Leben erhalten. Und du … du musst mit mir reden. Du musst mir sagen, wie … wie wütend du auf mich bist, weil es passiert ist. Du musst endlich mit mir reden!«
    »Ich … das tue ich. Ich weiß das doch …«
    Willow wischt sich die Tränen aus dem Gesicht und sieht David überrascht an. »Tatsächlich?«
    »Ja. Aber vielleicht habe ich in den letzten Monaten einiges falsch gemacht. Ich wollte mit dir darüber sprechen, aber ich hatte irgendwie das Gefühl, dass es nicht fair wäre, dich das alles noch einmal durchleben zu lassen … Ich weiß einfach nicht, wie ich über das, was passiert ist, reden soll. Oder wann. Ich habe Angst, dass du es, wenn ich darüber rede, nicht mehr schaffst, so weiterzumachen wie bisher, oder dass ich dann nicht mehr so weitermachen kann. Ich habe gedacht, dass es das Beste ist, etwas Zeit vergehen zu lassen, aber da hab ich mich wohl geirrt.« Er greift nach den Taschentüchern, die auf ihrem Schreibtisch liegen, zieht eines aus der Packung und reicht es ihr.
    »Danke.« Willow schnäuzt sich geräuschvoll.
    »Ich … Für so etwas bin ich noch viel weniger gemacht als für das andere …« David stößt einen tiefen Seufzer aus und wirkt einen Moment lang doppelt so alt, wie er eigentlich ist. »Es fällt mir so schwer, mich damit auseinanderzusetzen, was passiert ist, und es fällt mir sogar noch schwerer, zu sehen, was es mit dir gemacht hat. Ich versuche einfach, irgendwie damit klarzukommen und so gut es geht weiterzuleben, mich so gut ich kann um dich zu kümmern … Aber eigentlich habe ich nicht die geringste Ahnung, wie das überhaupt geht. Ich wollte es unbedingt vermeiden, dich ständig daran zu erinnern. Ich wollte, dass wenigstens du so gut wie möglich weiterleben kannst, und das scheint dir doch auch halbwegs zu gelingen. Du gehst so unglaublich tapfer mit all dem um, dass ich das Gefühl hatte, es wäre grausam, dich auf das anzusprechen, was passiert ist.«
    Willow weiß nicht, was sie darauf erwidern soll. Nach all den Monaten, in denen er geschwiegen hat, fällt es ihr schwer, diese plötzlichen Geständnisse zu verarbeiten. Aber sein letzter Satz klingt ihr noch deutlich in den Ohren: Du gehst so unglaublich tapfer mit all dem um . Eigentlich sollte sie ihm jetzt sagen, wie sehr ihn sein Gefühl täuscht, aber sie hat vor allem das Bedürfnis, ihm zu versichern, dass er nichts falsch gemacht hat. Dass es unglaublich hart für sie war, dass er nicht mit ihr geredet hat, er sie deswegen aber trotzdem viel weniger im Stich gelassen hat als sie ihn.
    »Ich finde, dass du das alles ziemlich gut hinkriegst«, sagt sie schließlich. »Ich weiß, wie schwer es ist, wie schwer es für dich und Cathy sein muss, mich hier zu haben, mit dem Geld auszukommen, zu dem ich fast nichts beisteuern kann. Es ist alles meine Schuld. Und ich …«
    »Oh Willow«, schneidet David ihr das Wort ab. »Nichts davon ist deine Schuld. Hast du jemals darüber nachgedacht, dass es unverantwortlich von ihnen war, eine Sechzehnjährige, die gerade mal ihren vorläufigen Führerschein hatte, bei so einem Unwetter fahren zu lassen? Oder ist dir jemals in den Sinn gekommen, dass ganz allein ich dafür verantwortlich bin, dass du überhaupt etwas zum Lebensunterhalt beisteuern musst, weil ich es nämlich nicht über mich bringe, das Haus zu verkaufen?« Er ist wütend, furchtbar wütend, und sie ist froh, dass diese Wut sich offensichtlich nicht gegen sie richtet, sondern gegen sich selbst. Sie weiß nicht, ob sie es aushalten würde, wenn es andersherum wäre.
    »So habe ich es bis jetzt wirklich noch nicht gesehen – ich meine, warum ich in der Bibliothek arbeiten muss und du das Haus noch nicht verkauft hast.« Willow legt ihm eine Hand auf den Arm. »Aber ich glaube trotzdem, dass …«
    »Und mich machen auch noch andere Sachen wütend«, unterbricht er sie erneut. »Ich bin wütend, dass ich über solche Dinge nachdenken muss, wie darüber, dass ich das Haus verkaufen muss, damit du studieren kannst. Ich bin wütend, dass ich nicht mit meiner Frau schlafen kann, wann ich will, weil diese Wohnung so klein ist und ich nicht will, dass meine kleine Schwester uns hört. Ich bin wütend, dass ich mich so benehmen muss, als wäre ich der Vater einer Siebzehnjährigen und nicht bloß eines Kleinkinds.« Er atmet ein paarmal tief ein und aus. »Aber ich bin noch nicht ein einziges Mal wütend auf dich gewesen oder habe dich dafür verantwortlich gemacht, dass unsere
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