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Bis du erwachst

Bis du erwachst

Titel: Bis du erwachst
Autoren: Lola Jaye
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nicht?
    Sie atmete tief durch, um sich zusammenzureißen. Sie war jetzt vierundzwanzig Jahre alt. Ein großes Mädchen. Außerdem war sie dergleichen ja gewohnt. Aber sie hatte es satt. Erst vor gut zwei Monaten hatte Olu ihr gesagt, dass es mit ihnen nicht funktionieren konnte, nicht funktionieren würde, und noch einen Monat davor hatte Kenny aufgehört, sie zurückzurufen. Sie wischte sich die Augen, gerade als ihr Handy eine misstönende Version der
Simpsons -
Titelmusik dudelte. Sie stand auf und stieß sich prompt den kleinen Zeh am Bett.
    «Auaaaaaa!», schrie sie, als der Schmerz sie durchzuckte. Das Handy hörte auf zu klingeln, sie warf es aufs Bett, und dann flossen die Tränen. Sie weinte nicht wegen ihres Zehs (obwohl er verdammt wehtat!), sondern weil sie Rik verloren hatte und all die anderen Männer, mit denen sie sich eine Beziehung gewünscht hatte.
    Was war nur los mit ihr?
    Ihre beiden Schwestern hatten tolle Beziehungen.
    Warum passierte so etwas immer nur ihr?
    Zehn Minuten später, sie weinte immer noch, klingelte das Telefon noch einmal. Diesmal ging sie dran.
    Es war ihre Schwester Cara, die ihr normalerweise nur kurze, scharfe SMS schickte – wenn sie nicht gerade an ihr herumnörgelte oder sie zurechtwies. Lena versuchte immer, sie davon abzuhalten, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Sie wollte, dass sie sich alle gut verstanden.
    Millie war die Jüngste, und das bedeutete, dass sie als Heranwachsende am meisten unter den «Streichen» zu leiden gehabt hatte, die Cara verübte, wenn sie wütend war oder sich langweilte. Zum Beispiel die Erfindung des Seeungeheuers Spiralicious, das sie jeden Moment auffressen konnte, wenn sie nicht tat, was Cara sagte. Mit fünf hatte sie der zehnjährigen Cara immer geglaubt, wenn die sie mit dem Ungeheuer bedrohte. So hatte sie sie dazu gebracht, Arbeiten für sie zu erledigen, und ihr eine Höllenangst eingejagt. Mit schöner Regelmäßigkeit hatte sie sich versteckt, meist unter der Treppe, und es war immer Lena gewesen, die sie schließlich fand und sie davon überzeugte, dass es Spiralicious gar nicht gab.
    Eigentlich war es überhaupt immer Lena, die ihr zu Hilfe gekommen und sie wieder aufgebaut hatte. Sie beruhigte sie, tröstete sie und versprach ihr den Riegel Toblerone, den sie unter dem Bett aufbewahrte.
    «Hi, Cara», seufzte Millie und machte sich darauf gefasst, angemeckert zu werden.
    «Sitzt du?», fragte Cara, und ihre Stimme klang ungewohnt sanft und ruhig.
    «Was ist denn los?», fragte Millie und richtete sich kerzengerade auf, von panischer Angst erfasst.
    Während Cara sprach, presste Millie das Handy fest ansich. Ihrer Brust entrangen sich laute, verängstigte Schluchzer. Sie wusste, dass ihr Leben durch diesen Anruf eine erschreckende Wendung genommen hatte. So schlimm, dass sie alles gegeben hätte, um in ihre Kindheit zurückzukehren und sich in einer dunklen Ecke zu verstecken.

3
    Eine Woche davor   …
    «Sie sind mein Retter, mein Märchenprinz!», bedankte sich die silberhaarige alte Dame überschwänglich, als er ihr die Münzen reichte, die ihr aus dem Geldbeutel auf den Gehsteig gefallen waren.
    «Machen Sie sich keine Gedanken deswegen. Und passen Sie gut auf sich auf», sagte er und lächelte. Das war ihm bisher noch nie passiert, dass ihn jemand «Märchenprinz» nannte. Frauen hoben gern seine «herrlich buschigen Augenbrauen» hevor (die er hasste), die langen, mädchenhaften Wimpern (die er verabscheute) und sein gemeißeltes (gemeißeltes?) Kinn, aber als Märchenprinz hatte ihn bisher noch keine bezeichnet. Dies war definitiv das erste Mal. Verlegen rieb er sich den Bauch. In den letzten Monaten hatte er sich hauptsächlich von fettigem Fast Food und Limonade ernährt, und so hatte er ein kleines Bäuchlein entwickelt, aber irgendwie hatte er bisher noch nicht den Mut gehabt, sich von einem dieser Muskeltypen, die vor der U-Bahn -Station mit kostenlosen Probestunden warben, in ein Fitness-Studio locken zu lassen. Leg Lifts, Schweiß und zudringliche Trainer kosteten Energie, und seine war momentan darauf gerichtet, seine finanzielle Lage und, nun ja, seine Zukunftsaussichten zu verbessern. Er hatte nämlichPläne, und die wollte er verwirklichen. Auch wenn seine Schwester Charlotte ihn gern als «trübe Tasse» bezeichnete, gefiel ihm die Vorstellung, dass auch er seine großen Momente gehabt hatte.
    Im Augenblick war er jedoch unterwegs zu seinem verhassten Job. Dort brachte er den Großteil seiner Zeit
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