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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt
Autoren: Vladimir Ulrich
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kann. Dabei hatte ich selbst ein Problem, das immer dringender wurde. Spätestens an der deutschen Grenze war klar, daß wir München in der geplanten Zeit nicht erreichen werden. Als wir dann endlich, bereits mit starker Verspätung, nach Stuttgart kamen, und der Bus unplanmäßig noch einen mehr als dreihundert Kilometer langen Umweg einlegte, schwand die Hoffnung, zu einer noch vertretbaren Nachtzeit anzukommen. Jede halbwegs vernünftige Planung war dahin. Ich telefonierte mehrere Male mit Martin, der erst voller Begeisterung versprach, mich am Busbahnhof abzuholen, dann, mit jeder weiteren Verspätung, immer weniger begeistert war, bis er dann nicht mehr selbst den Hörer abnahm und seine Frau ausrichten ließ, wegen einer geplanten Urlaubsreise am nächsten Tag nicht mehr kommen zu können. Im Kloster fand sich auch niemand, der mich abholen würde, wobei Gunther und Benedikt schon ihres Alters wegen zu spätnächtlichen Autofahrten nicht taugten. Der Münchner Busbahnhof liegt ziemlich weit vor der Stadt, und zu unserer Ankunft würde vermutlich nicht einmal mehr die S-Bahn fahren. Somit stand mir mit nach zig Stunden Busfahrt auch noch die Nacht im Freien bevor. Ich haderte und schimpfte eine ganze Weile mit dem spanischen Buspersonal und ihrer Gesellschaft, kam aber am Ende zum Schluß, der Herr werde mit in dieser Lage genauso helfen, wie er es auf der ganzen Reise getan hat. Der Gedanke war so eindringlich, so offensichtlich, daß ich mich wunderte, nicht gleich drauf gekommen zu sein. Ja, wieso bin ich denn, nach allem, was ich da schon erlebte, nicht gleich draufgekommen? Wie stark ist mein Glaube? Die kleinste Ablenkung reicht aus, und ich habe den Herrn vergessen. Streck deinen Finger aus — hier sind meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! [89]
    Es war schon arg nach Mitternacht, als wir endlich in München ankamen. Auf die anderen Reisenden warteten motorisierte Verwandte oder Freunde. Mehr oder weniger ohne Murren. Man kannte die Verhältnisse. Wir waren nicht mehr viele. Die meisten stiegen schon im Schwabenland aus. Dort lebten offenbar etliche Portugiesen. Übrig blieben noch kaum ein halbes Dutzend Menschen, darunter freilich auch der Dauerschwätzer, der mir bis zum Schluß im Ohr lag. Wir verabschiedeten uns recht herzlich. Der kalte, kahle Bussteig lud nicht zum Verweilen ein, und im Nu waren alle weg, und ich stand allein vor der trostlosen Betonkulisse. Aber mir war nicht traurig. Der Herr war ja wieder bei mir. Im Gang zum Tiefgarage zog ich alles an, was ich bei mir trug, denn die Nacht versprach noch kälter zu werden. Für alle Fälle vertilgte ich auch noch ein letztes Stück Brot mit Sardinen, die ich beim Herumkramen im Rucksack fand. Energiereserven aufgestockt. Dann machte ich mich auf den Weg. Das ganze Areal stand wie verlassen im Flutlicht riesiger Lampen irgendwo hoch oben. Mit Fußgängern rechnete man hier nicht, es gab keine Hinweisschilder in unmittelbarer Nähe, die Himmelsrichtungen waren ohne Hilfsmittel nicht festzustellen. Aber es dürfte nicht schwer sein, die in der Nähe verlaufende Autobahn zu finden, dachte ich. Die hatte ich nur zu überqueren und ihr dann nach Norden zu folgen. Wenn es hell wurde, werde ich gewiß ein Auto anhalten können. So marschierte ich einige Minuten in Richtung einer entfernten Fahrrampe, mußte aber bald feststellen, daß es die falsche Richtung war. Also wieder zurück. So einfach entkam man hier nicht. Nicht als Fußgänger. Also bat ich den Herrn um ein Zeichen. Ich wollte nicht die ganze restliche Nacht hier vergeuden. Da saßen nun plötzlich drei junge Leute auf einem Kabäuschen an einer Stelle, die ich zuvor gerade passierte. Ordentlich gekleidet, nicht betrunken, nicht bekifft, nicht randalierend. Etwas untypisch für eine solche Örtlichkeit um diese Zeit, und ich hatte natürlich gleich den Herrn im Sinn. Schließlich bin ich hier gerade vorbeimarschiert, ohne jemanden gesehen zu haben. Sie zeigten mir auch freundlich den Weg, ohne sich viel zu wundern oder lästige Fragen zu stellen. Drei Engel eben, zur richtiger Zeit am richtigen Ort, vom Herrn gesandt. Übliche Aufmachung, wie man es aus der Bibel kennt. Ich war in Versuchung, mich hinten anzuschleichen, um zu sehen, ob sie vielleicht Flügel hätten, fand es dann aber doch zu töricht. Ich hätte sie natürlich auch direkt fragen können, ob sie vom Herrn geschickt wurden. Ein guter Weg sich zu
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