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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt
Autoren: Vladimir Ulrich
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symbolische Gegenstände an. Die heute freilich meist aus Plastik sind und brennend ziemlich scharf riechen. Davon abgeschreckt überlegte Simon, was er am besten dem Feuer opfern könnte. Ich schlug ihm sein maghrebinisches Haargeflecht vor. Wollte er es sowieso nicht zu Haus abnehmen lassen? Hier und jetzt wäre es als lebensergreifende Zäsur bedeutend genug. Bestimmt noch besser als ein paar Socken oder der Büstenhalter. Er zog dies in Betracht. Ich weiß nicht, wie er sich entschloß, ich ging. Ich hatte, was ich wollte. Verbrennen wollte ich hier nichts, ich hielt es für einen Aberglauben. Und ich wollte über das Gesehene meditieren, bevor es verblaßt war. Wie die Piefkes sagen: Jeder nach seinem Geschmack. Aber ich war nicht allein. Etliche andere stiegen nun raschen Schrittes vom Berg hinunter. Manche diskutierend, manche schweigend. Praktische Dinge kamen auf. Was mit dem angebrochenen Abend anfangen, wohin essen gehen, wann morgen zum Bus aufstehen. Ich kehrte zurück in die übervolle, stickige Herberge und legte mich bei vollem Licht und Lärm schlafen. Was sonst hätte ich noch tun können?
    Doch, ich hatte noch was, und das tat ich gleich am nächsten Tag vor der Abreise. Hatte ich denn nicht einen Pilgerstab, den es einzupflanzen galt. Damit ihn der Herr aufblühen und zu einer mächtigen Eiche wachsen ließe? Wie konnte ich es nur vergessen haben? Nach dem Frühstück im Café am Hafen, denn in der Herberge konnte man wieder einmal nichts kochen, stieg ich den Weg entlang der Klippe hoch, um einen passenden Platz dafür zu suchen. Ich war allein, denn ich wollte mit meinem Aberglauben niemanden aufstacheln. Aber ich war mir sicher, daß dieser besser war, als alte Schuhe oben am Kap einzuäschern. Also schlich ich mich hoch und pries, daß um diese Stunde hier außer mir noch kein Mensch unterwegs war. Es dauerte dann eine ganze Weile, bis ich eine passende Stelle fand. Überall Sand und Stein. Es war einfach nicht genug schwarze Erde hier, um eine deutsche Eiche gedeihen zu lassen. Dazumal in so einem bedauerlichen Zustand wie die meinige nach dreitausend Kilometern Dienst als Pilgerstab. Erst ganz oben auf der Klippe, wo die Stadtväter von Finisterre schon ein paar Platane aufgepflanzt haben, fand ich die Gelegenheit. Ich zog den Herrn zu Rate, dann einen legal eingerammten Pflock aus der harten Erde und pflanzte den Pilgerstab hinein, als ob er eine zarte, blühende Pflanze wäre. Wollte der Herr es so, würde daraus eines Tages ein mächtiger Baum des Glaubens werden. Ich hegte darüber keine Zweifel, trotzdem lobte ich mir, es bis auf den Herrn ohne Zeugen und Erklärungen erledigt zu haben. Bis ich zufällig zurücksah. In einem Fenster über mir ruhte ein älterer Mann und nahm einen regen Anteil an meinem gottesfürchtigen Werk. Ich erschrak richtig, als ob ich was verbrochen hätte. Was tun? Dann aber grüßte ich wie selbstverständlich und freundlich, und er grüßte freundlich und selbstverständlich zurück. Kein Wort, keine Frage, keine Kritik und Ermahnung, öffentlichen Grund nicht mit illegalen Pflanzungen zu verschandeln. Vielleicht aber waren solche Dinge hier ganz & gar üblich. Pilger tun ohnehin oft seltsame Dinge. Jedenfalls wollte ich mich nicht so einfach in die Flucht schlagen lassen. So setzte ich mich auf die Bank und blieb an dieser herrlichen Stelle – mir schien sie die schönste des Finisterre zu sein – solange ich noch konnte. Erst im letzten Moment eilte ich wieder zurück zum Hafen, wo der Bus nach Santiago schon wartete. Nun war ich wirklich fertig, ich habe alles getan, was es zu tun gab. Und wäre es das letzte Ding in meinem Leben. Der Herr ist mein Zeuge.

Nach Hause
    Wann ist denn eine Reise zu Ende? Diese jedenfalls scheint gleich mehrere Enden zu haben. Ein Ende war gewiß die Ankunft in Santiago und dann in Finisterre. Ein Ende war der phantastische Sonnenuntergang am Kap und das Einpflanzen des Pilgerstabs. Ein Ende war gar das Besteigen des Busses erst nach Santiago und dann nochmals am nächsten Tag nach München. Vor dem Bus nämlich hatte ich eine richtige Scheu. Ebenso gilt als ein Ende der Reise, wenn man nach Hause kommt. Aber auch das geriet durcheinander, und so betrachte ich das Ende meiner Pilgerreise als ein komplexes, aus vielen Teilen zusammengesetztes Ding. Darüber hinaus stand bis zum letzten Augenblick, und das ist wörtlich gemeint, die Möglichkeit im Raum, zu Fuß zurückzugehen. Es war vergeblich, sich die Unsinnigkeit und die
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