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Birnbaeume bluehen weiß

Birnbaeume bluehen weiß

Titel: Birnbaeume bluehen weiß
Autoren: Gerbrand Bakker
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entdeckt, dass ein paar Worte auf einem Stück Papier etwas ganz anderes sind als einText auf einem Grabstein. Die Worte haben ein größeres Gewicht, wenn sie aus einem Stück Granit herausgemeißelt sind. Der Stein ist dunkelgrau, rechteckig und hat keine Verzierungen. Das steht darauf:
    GERSON TOLGAARDER
    28. 7. 1990 – 10. 8. 2004
    IMMER AUGUST
    IMMER SONNE
    IMMER UNSER LEERES HERZ
    Wir wollen keine Deckplatte, also gibt es ein Stück Erde, in das wir im Frühjahr etwas pflanzen werden. Wir wissen noch nicht, was. Gerard möchte etwas Immergrünes, und wir wollen etwas, das blüht. Genau wie bei dem Text gehen auch unsere Meinungen über Pflanzen oder Sträucher auseinander.
    Warum können Hunde nicht reden? Alles ist möglich heutzutage, man kann sich wirklich kaum etwas ausdenken, was es nicht gibt (neulich haben wir in der Zeitung über die Transplantation einer Schweineleber in einen Menschen gelesen, und im Fernsehen gab es was über Kühe in England, die im Dialekt muhen), aber noch nie hat es jemand geschafft, einen Hund zum Sprechen zu bringen. Als der Lichtstrahl von Opas Taschenlampe auf Daan fiel, drehte er den Kopf und sah uns an. Kees, der an diesem Tag schon mal in Schluchzen ausgebrochen war, konnte den Anblick des völlig durchnässten Hundes mit seinen wahnsinnig traurigen Augen nicht ertragen. Jan und wir warenschon eine Runde um den See gelaufen, immer dem Licht der Taschenlampe nach. Wenn man die Weide vor dem Haus von Anna und Jan überquert, kommt man zum Steg. Wir hatten Daan einfach übersehen, und wenn er überhaupt gewinselt hatte, hatte er es in diesem Moment schon aufgegeben. Neben Daan lag der Stock, in den Kees nachmittags mit seinem Taschenmesser so sorgfältig Figuren eingekerbt hatte.
    »Hier stimmt was nicht«, sagte Jan.

    Am nächsten Tag, dem 11. August, kurz nach Mittag, wurde Gerson gefunden. Von einem Taucher der Feuerwehr. Später wurde uns klar, dass es – wenn sie den See nicht mit Schleppnetzen abgesucht hätten – Tage hätte dauern können, bis er von selbst an die Wasseroberfläche getrieben wäre.
    Anna und Jan ging es furchtbar dreckig. Sie fühlten sich schuldig. Anna hat den ganzen Tag, egal was um sie herum passierte, in einem der Lehnstühle im Wohnzimmer gesessen. Den ganzen Tag. Sie konnte nicht mehr aufstehen.
    »Ich hätte ihn nicht gehen lassen dürfen.« Sie wiederholte und wiederholte es, wie ein Gebet. Jan ist an diesem Tag nicht ins Haus gekommen, selbst nicht, nachdem Gerson mittags hereingetragen worden war. Wir konnten nichts daran ändern.

    Daan verließ den Bootssteg erst, als Gerson an Land gebracht wurde. Wir hatten versucht, ihn in der Nacht davor mitzulocken, aber es war uns nicht gelungen. Jan hat ein paar Stunden mit ihm neben einem Holzstapel am Schuppen gesessen. Nicht, weil Opa so gerndort sitzen wollte, sondern weil Daan dort sein wollte. Nach dem Begräbnis hat er, trotz seiner Angst vor Gräben und der Straße, tagelang auf dem Haufen Erde auf Gersons Grab gelegen. Wir mussten ihn jeden Abend fast mit Gewalt dort wegholen. Und wenn er endlich drinnen war, in der Waschküche, in der er vor Jahren auch wochenlang gejault hatte, fing er wieder an zu jaulen. Kees hat versucht, etwas dagegen zu tun, aber nichts half. Eines Tages war es plötzlich vorbei. Mit einem Schlag. Beneidenswert. Er wird sich künftig mit uns, den Stöckewerfern, zufriedengeben müssen. Aber wir werden ihn niemals zum Sprechen bringen.

    Gerard war still, beängstigend still. Wir hatten erwartet, dass er sehr viel schlafen würde, weil, ja, wenn man schläft, ist man eine Weile nicht da. Aber er schlief besonders wenig. Ein paar Tage nach dem Begräbnis hat er eines Abends die ganze Küche kurz und klein geschlagen. Wir saßen im Wohnzimmer und versuchten zu raten, was dort drin passierte. War das ein Stuhl, der auf der Spüle entzweigeschlagen wurde? Waren das die Teller oder die Suppentassen, die auf dem Boden in tausend Stücke zersplitterten? Das helle Klirren da waren auf jeden Fall die Gläser. Nach einer Weile wurde es still, und nach einer weiteren Weile kam er ins Wohnzimmer. »Tut mir leid, Jungs«, sagte er. »Ich wusste einfach nicht mehr weiter.« Er setzte sich zu uns aufs Sofa. Wir schlangen jeder einen Arm um seine Schultern, und so haben wir den ganzen Abend dagesessen, ohne ein Wort zu sagen. Bis es dämmerte und Klaas losging, um Daan vom Friedhof wegzuholen.

    Anfang Dezember. Gerard hat heute Morgen das Auto gewaschen. In einer großen
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