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Binärcode

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Titel: Binärcode
Autoren: Christian Gude
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sich um, der blonde Engel stand vor dem Stationszimmer und flirtete mit einer Krankenschwester. Zwei junge, vitale, attraktive und gesunde Menschen – Wesen aus einer anderen Welt.

     

     
    * * *

     

     
    Eigentlich war es eine glänzende Idee, nach einer längeren Auszeit den Arbeitsplatz an einem Freitag wieder aufzusuchen. Man schaffte sich einen lockeren Übergang und hatte nicht die deprimierende Aussicht auf eine ganze Arbeitswoche.
    Vor dem Eingang des Präsidiums stand ein fabrikneuer Citroën C6 mit französischem Kennzeichen und den Endziffern 10 des Départements Aube. Rünz blieb einen Moment stehen und genoss das mutige Stück Industriedesign, eine erstarrte schwarze Ozeanwelle kurz vor der Brandung, die zeitgemäße stilistische Referenz an eine Stilikone der 60er-Jahre, den alten DS. In welchem Département lag eigentlich Troyes? Rünz wurde unruhig, vielleicht hätte er seine vorzeitige Rückkehr zum Dienst doch telefonisch ankündigen sollen.
    Der Fahrer kam ihm im Foyer des Präsidiums entgegen, ein wendiger und temperamentvoller kleiner Mittsechziger, der mit finster entschlossenem Gesichtsausdruck dem Ausgang zustrebte. Das dünne, schüttere und schneeweiße Haar stand   in allen Richtungen vom Kopf ab, als hätte er sich elektrisch aufgeladen. Rünz hatte ihn nie zuvor gesehen, aber alles kam ihm bekannt vor – der starke Vorbiss, die quirlige Art, wie er sich bewegte. Charlis Vater, er hatte keine Zweifel. Der Alte hatte seiner Tochter einiges an genetischer Ausstattung mit auf den kurzen Lebensweg gegeben. Sollte Rünz sich ihm zu erkennen geben? Er zögerte zu lange, der Franzose war schnell aus dem Gebäude und in seinem Auto. Das hydraktive Fahrwerk lupfte die Karosse an, und er verließ den Parkplatz Richtung Stadtmitte.
    Rünz ging weiter zu seinem Büro. Aus dem Besprechungsraum seiner Abteilung hörte er Stimmen, die Tür stand offen, er blieb am Eingang stehen. Bunter und Wedel registrierten ihn nicht, die Rücken ihm zugewandt standen sie am Tisch vor ihren Unterlagen und einigen Folienbeuteln mit Beweismaterial und diskutierten. Er lauschte dem Gespräch einen Moment, ohne auf sich aufmerksam zu machen. Bunter hatte die Rolle des Ermittlungsleiters übernommen, keine Überraschung, der Westfale war schließlich Rünz’ offizieller Stellvertreter. Aber die Verve, mit der sich der sonst eher phlegmatische Westfale in die übernommene Aufgabe geworfen hatte, wirkte doch unheimlich. Er trug einen Anzug, gut, nicht gerade ein aktuelles Modell, aber ein Quantensprung im Vergleich zu dem Birkenstock-Look, in dem er jahrelang herumgeschlurft war. Sein Bauch wirkte etwas flacher, und der Vollbart war auf ein durchaus businesskompatibles Maß zurechtgestutzt. Hier nutzte ein Mann seine Chance. Wedel demonstrierte penetrante Jugendlichkeit, er trug Sneakers und eine goldfarbene gesteppte Daunenjacke aus der aktuellen Winterkollektion irgendeiner Jugendmarke, mit der er gegen akute Heizungsausfälle gewappnet war, dazu gegelte Naturlocken. Er hörte Bunter konzentriert zu und nickte ab und an bestätigend mit dem Kopf. Die beiden schienen blendend zusammenzuarbeiten.
    Drei Worte nur, ein kurzer Satz, unendlich oft wiederholt, jedes Mal etwas lauter, wie bei einer albernen Ausstellungsperformance, eine akustische Installation, die irgendein Kunststudent mitten in Rünz’ krankem Kopf veranstaltete   – JEDER IST ERSETZBAR.
    Die zwei drehten sich um und starrten ihn an. Er hatte den Satz laut und deutlich ausgesprochen, wie ein Kind, dem noch das Über-Ich als zensierende Instanz fehlte. Keiner sagte ein Wort, eine indifferente Situation. Der alte Wolf war zurückgekehrt – würde er mit seinem Nachfolger um den Rang des Alphatieres rivalisieren?
    »Wir haben Sie erst am Montag erwartet. Wie geht es Ihnen ?« , fragte Bunter.
    »Schon gut, bin heute nur Gasthörer«, klärte Rünz die Lage. »Ab nächste Woche wieder offiziell im Dienst. Da unten am Eingang – Charlis Vater, richtig? Haben Sie mit ihm gesprochen ?«
    »Hoven hat ihn eingeladen, als Wiedergutmachung sozusagen«, antwortete Bunter. »Er war Dauergast bei uns, es gab einigen Ärger, weil sich die Überführung von Charlis Leiche verzögerte. Die Staatsanwältin hat natürlich eine Obduktion angeordnet. Bartmann hatte in Frankfurt seine Kühlfächer voll und musste erst mal andere Fälle abarbeiten, bevor er sich um Charli kümmern konnte. Ihr Vater ist hier im Dreieck gesprungen, er musste über zwei Wochen warten, bis
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