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Binärcode

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Titel: Binärcode
Autoren: Christian Gude
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zwischen seinen Lippen.
    »Nicht schlucken, langsam im Mund zergehen lassen !«
    Er nahm seinen Mut zusammen, öffnete die Lippen und ließ die Bällchen in seine Mundhöhle fallen.
    »Keine schlechte Gelegenheit, mich zu vergiften«, nuschelte er.
    »Eben. Ein homöopathisches Mittel.«
    »Hast du das mit dem Oberarzt besprochen ?«
    »Natürlich, kann nicht schaden, sagt er .«
    »Ist das schon so weit, dass Kassenpatienten nur noch Medikamente bekommen, die nicht schaden können ?«
    »Hör auf herumzupiensen, das ist Graphites, gut für deine Verletzungen .«
    Rünz simulierte Würgereiz und tastete nach seinem Spucknapf.
    »Grafit?? Du steckst mir hier eine zerbröselte Bleistiftmine in den Mund ?«
    »Da mach dir mal keine Sorgen. Das sind Globuli in einer D12-Potenz. Von denen musst du schon ein paar Tausend nehmen, bis man mit dir zeichnen kann .«
    »Ach ja, ihr Homöopathie-Schamanen seid ja Meister der Verdünnung. Welche Wirkstoffkonzentration haben wir denn hier ?«
    »Wichtig ist doch die feinstoffliche Information, die beim Potenzieren vermittelt wird .«
    »Sag schon, welche Konzentration ?«
    »Eins zu eine Billion.«
    Die Kügelchen lösten sich auf in seinem Mund und hinterließen einen scharfen Nachgeschmack.
    »Eins zu eine Billion – na ja, vielleicht habe ich Glück und erwische ein Molekül. Man soll ja auch nicht überdosieren .«
    Seine Frau seufzte. Rünz war beunruhigt, er konnte ihre Befindlichkeit nicht zuverlässig beurteilen, wenn er sie nicht sah. Jetzt, wo er so hilfsbedürftig dalag, empfand er plötzlich wieder große Zuneigung zu ihr, während sie sonst für seinen Gefühlshaushalt so relevant war wie ein funktioneller und unverzichtbarer Einrichtungsgegenstand in ihrem gemeinsamen Haushalt. Auch Liebe schien letztendlich nach durchweg eigennützigen ökonomischen Prinzipien zu funktionieren.
    »Hast du sie gut gekannt ?« , fragte sie.
    Rünz fühlte Panik aufkommen. Sie wollte über Gefühle reden, und er konnte nicht weglaufen.
    »Sie gehörte zu meinem Team, war hier für ein Jahr, im Rahmen eines Austauschprogrammes mit unserer französischen Partnerstadt Troyes. Sie wäre in vier Wochen wieder zurückgegangen, zu ihren Kollegen ins Commissariat …«
    »Das meinte ich nicht .«
    Rünz schluckte. Er verstand, sie wollte wissen, was in ihm vorging, seine Trauer, die Art, wie er den Tod einer Kollegin verarbeitete. Charli fehlte, das war natürlich schade, zumal sie mit ihrem überragenden Einfühlungsvermögen in einigen schwierigen Verhören entscheidende Wendungen herbeigeführt hatte. Aber seine Hauptsorge galt der Unruhe, die die ganze Sache in seinen Arbeitsalltag brachte – die interne Untersuchung, mögliche Umstrukturierungen, Kontakte mit ihren Angehörigen, lästige Journalisten. Aber das musste seine Frau nicht wissen.
    »Es ist nicht leicht …«, presste er hervor, als unterdrückte er mühsam eine starke Gefühlswallung.
    »Ich weiß, du brauchst jetzt einfach Zeit .«
    Sie legte ihm tröstend die Hand auf den Unterarm, er entschied spontan, noch eine Schaufel Sentiment nachzulegen.
    »Weißt du, wir haben nicht nur perfekt zusammengearbeitet, wir haben uns auch gut verstanden, auf einer menschlichen Ebene .«
    Die Hand verschwand von seinem Unterarm.
    »Auf einer menschlich-professionellen Ebene, meine ich .«
    »Das freut mich«, sagte sie kühl. »Ich habe dir deine Waffenmagazine mitgebracht, sind heute mit der Post gekommen. Verlange jetzt bitte nicht von mir, dir diesen Rambo-Mist vorzulesen, mein Bruder ist sicher der Richtige für diesen Job .«
    Sie legte ihm die Hefte auf die Bettdecke. Rünz strich zärtlich mit den Fingerspitzen über das Titelblatt des Deutschen Waffenjournals, als könnte er die Konturen der abgebildeten Walther SSP an der Oberflächenbeschaffenheit der Druckfarbe ertasten.
    »Danke«, hauchte er. »Und – wie geht’s dir so ?«
    »Wie bitte? Du fragst mich, wie es mir geht? Welche Drogen geben die dir hier? Schalt besser einen Gang zurück, ich könnte denken, du magst mich .«
    »So war das nicht gemeint. Ich muss einfach wissen, ob du fit genug bist, um mich in den nächsten Jahrzehnten zu versorgen, wenn ich nicht mehr auf die Beine komme .«
    »Da mach dir keine Hoffnungen auf Vollpension, wenn die dich hier nicht auf die Beine kriegen, ich schaffe das zu Hause ganz sicher .«
    Rünz hörte, wie sie aufstand und sich den Mantel anzog.
    »Ich muss los, habe heute meinen Pilatesabend .«
    »Ah, die Warmduschergymnastik. Sind
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