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Bin oder die Reise mach Peking

Bin oder die Reise mach Peking

Titel: Bin oder die Reise mach Peking
Autoren: Max Frisch
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uns, immer wieder, erhebt sich ein Mond, schwebt über den Wellen seiner silbernen Spiegelung. Nahe und groß, lautlos glotzt er über das klingelnde Röhricht. Einmal müssen wir ans Meer kommen.
    W ir kamen nun an den Ort, wo die Felsen aus dem Wasser steigen, bleich wie Kreide, und das Wasser war grün, das spiegelnde Kloster darin, und wo der Mönch in seiner winzig kleinen Barke stand und fischte – Es war an einem Freitag.
    »Fürwahr«, sagte ich zu Bin, »er ist es!« »Wer?«
    »Ich kenne ihn an seinem lahmen Arm, an seinem schwarzen Bart. Er trägt die schwarze Kutte, die schwarze Röhre eines griechischen Popen; aber seine Füße, du wirst sehen, sie sind in Lumpen gewickelt, und es ist das Tuch von Stören, wie man sie auf noblen Fremdenschiffen hat!… Das ist der Mönch, der mir Oliven gab, lange ist's her, und dem ich nie geschrieben habe.«
    Als wir näher traten, schlug mir das Herz in den Hals. O Engel, dachte ich, laß jenen Morgen noch einmal geschehen, jenen Morgen mit den Oliven! … Es war ein Freitag, fügte ich für den Engel noch einmal hinzu, und der Engel, der ja von altersher gern in der Nähe von Fischern und Hirten weilt, mußte mich wirklich erhört haben, der Fischer hatte den Fremdling bereits bemerkt –
    »So of«, sagte ich zu Bin, »habe ich später an ihn denken müssen, aber geschrieben, wie gesagt, geschrieben habe ich ihm nie.«
    Er läßt seine Netze zurück, um sich des Fremdlings anzunehmen, und stochert seine kleine und auch schiefe Barke ans Ufer. Erst rührend, dann komisch und auf die Dauer schon ärgerlich ist seine Sorge, ich könnte frieren. Denn es ist die Stunde des ersten Morgengrauens. Er kann nicht verstehen, was ein Fremdling an diesem einsamen Orte sucht; es fehlt uns die gemeinsame Sprache, damit ich mich erklären könnte, und auch dann wäre es schwer. So will er mir immerfort seine schmutzige Kutte geben, damit ich nicht friere, und das einzige, was ich sonst noch begreife: Trank und Speise wolle er mir geben. Eigentlich habe ich ein ganz andres Ziel. Aber wenn ich den Kopf schüttle, so kränke ich ihn, und schließlich sage ich mir: Die Tempel, die heiligen, stehen jeden Tag, aber nicht an jedem Tag begegnet uns ein Mensch. So trotte ich denn hinter ihm her, halb dankbar, halb ärgerlich. Nun führt er mich wieder zurück, schaut alle paar Schritte, ob ich auch folge; es geht über Felsen hinauf. Er hat ein Liebeslächeln, wie wir es unter Männern nicht kennen, nicht glauben ohne gemeinen Verdacht. Später sitzen wir vor seinem Kloster, denn er ist der einzige Mönch in diesen zerfallenen Mauern; die Sonne geht auf, und noch einmal, wie einst, kauen wir die ranzigen Oliven, die ihm so sichtbar munden. Es sind seine Leckerbissen; wer möchte den Kopf schütteln vor soviel Güte? Wir reden nichts, wir sitzen an der Mauer und kauen, und die Sonne steigt höher und höher, und noch einmal, wie einst, zeigt er mir die Bilder, die er in seiner Kutte verborgen hat, das verblichene Lichtbild von seiner Frau oder Braut, einer jungen und breiten Bäuerin; das andere: die schwarze Nonne, bleich, ungreifar, byzantinisch. Er war im letzten Krieg verschollen, so vermute ich; seine Braut, treu noch im Schmerz, ging ins Kloster, und als er nach Jahren zurückkehrte, da konnte sie nicht mehr zu ihm, wollte auch nicht mehr. So ging auch er ins Kloster; man gab ihm dieses Gemäuer. Einfache Geschichte … Immer mehr Oliven mußte ich essen.
    »Wer weiß«, sagte ich zu Bin, »vielleicht hat der neue Krieg ihn getötet. Bomber sind gekommen, die er sich heute überhaupt nicht vorstellen kann, Granaten, die teurer sind als seine ganze Habe, jede einzelne von ihnen. Oder er ist einfach verhungert. Sie haben seine Ziege gebraucht, zum Beispiel, und eine Granate schlug ins Wasser, nachher schwammen die Fische obenauf mit silbrigen Bäuchen. Man kann sich auch denken, wie er da droben als Partisan kämpf, eines Tages ertappt wird und erschossen, wenn er Glück hat, oder wie eine Vogelscheuche erhängt. Mitsamt seinem unwahrscheinlichen Liebeslächeln. Wer kann es wissen! Da sitzen wir an der einsamen Morgensonne, und vielleicht ist er heute ein Gefangener, arbeitet in einem grauen Lager, in einem Land, das es für ihn gar nicht gibt.« Erst im Augenblick, da ich wieder aufrechen will und ihm danke, verrät es ein Zufall, daß er Französisch kann, nicht viel, und auf einmal ist es möglich, daß wir sprechen. Fast ist es schade um unser Schweigen. Er ist Russe. Er hat
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