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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn
Autoren: Heinrich Böll
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Ihr Großvater eben herüberkommen und es sich anschauen könnte, bevor wir es ihm ins Atelier bringen?«
    »Bestimmt«, sagte Joseph, »er wird herüberkommen und es sich anschauen; darf ich Ihnen zunächst in seinem Namen danken; es müssen ernste Gründe sein, die ihn veranlaßt haben, die Feier abzusagen, und Sie werden verstehen...«
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    »Ich verstehe durchaus, daß Sie jetzt gehen müssen - nein, bitte, breiten Sie das Tuch nicht wieder drüber, Fräulein - das Fernsehen hat sich angesagt.«
    »Eins möchte ich jetzt können«, sagte Joseph, als sie über den Platz vor Sankt Severin gingen, »lachen oder weinen, aber ich kann beides nicht.«
    »Ich weiß nur, was ich eher könnte: weinen«, sagte Ruth,
    »aber ich tu's nicht. Was sind das für Leute? Was ist das für ein Trubel - was machen sie mit den Fackeln?«
    Lärm herrschte, Pferdegetrappel, Wiehern ertönte, kommandogewohnte Stimmen forderten zum Sammeln auf, Blasinstrumente gaben letzte Probetöne ab; ein nicht sehr lautes, sprödes kleines Geräusch brach in den Lärm wie etwas sehr Fremdes ein.
    »Mein Gott«, sagte Marianne ängstlich, »was war das?«
    »Das war ein Schuß«, sagte Joseph.
    Sie erschrak, als sie durchs Stadttor in die Modestgasse kam; die Gasse war leer; keine Lehrjungen, keine Nonnen, keine Lastwagen, kein Leben auf der Straße; nur der weiße Kittel von Frau Gretz da hinten vor dem Laden, rosige Arme schoben mit dem Schrubber Seifenschaum vor sich her; fest verschlossen war das Druckereitor, als würde in alle Ewigkeit nie mehr Erbauliches auf weißes Papier gedruckt; mit gespreizten Läufen, die Wunde in der Flanke schwarz verkrustet, lag der Keiler auf der Treppe, wurde langsam ins Innere des Ladens gezogen; Gretzens rotes Gesicht zeigte an, wie schwer das Tier war; nur zwei von drei Klingeln hatten geantwortet, nicht im Haus Numero sieben, nicht im Haus Numero acht, nur im Cafe Kroner. »Dringend Herr Dr. Fähmel?« »Nicht anwesend. Die Feier ist abgesagt. Fräulein Leonore? Man erwartet Sie im Hotel Prinz Heinrich.« Heftig hatte der Eilbote bei ihr geklingelt, während sie im Bad saß; das wilde Geräusch verhieß nichts Gutes, sie stieg aus dem Bad, warf den Bademantel über,
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    wickelte sich ein Handtuch ums nasse Haar, ging zur Tür und nahm den Eilbrief in Empfang; mit seinem gelben Stift hatte Schrit die Adresse geschrieben, den Umschlag rot überkreuzt, und gewiß war seine achtzehnjährige Tochter mit dem Fahrrad zur Post gehetzt worden; dringend.
    ›Liebes Fräulein Leonore, versuchen Sie sofort Herrn Fähmel zu erreichen; die gesamten statischen Berechnungen für das Bauvorhaben x 5 sind falsch; Herr Kanders, mit dem ich soeben telefonierte, hat außerdem noch die - falschen - Unterlagen direkt an den Auftraggeber gesandt, im Gegensatz zu unseren üblichen Usancen; die Sache ist so dringend, daß ich heute abend noch mit dem D-Zug herunterkomme, falls ich bis 20 Uhr nicht Bescheid von Ihnen habe, daß in der Angelegenheit etwas unternommen worden ist; wie umfangreich und wichtig das Bauvorhaben x 5 ist, brauche ich Ihnen gewiß nicht mitzuteilen.
    Herzlich Ihr Schrit.‹
    Zweimal schon war sie am Hotel Prinz Heinrich vorbei, wieder zurückgegangen, bis kurz vor Gretzens Laden in die Modestgasse hinein, war wieder umgekehrt; sie hatte Angst vor dem Krach, den es geben würde; der Samstag war ihm heilig, er duldete Störungen nur, wenn es um etwas Privates ging, aber Geschäftliches duldete er am Samstag nicht; noch klang ihr das
    ›Dumme Stück‹ im Ohr; noch war es nicht sieben und Schrit in wenigen Minuten telefonisch erreichbar; es war gut, daß der Alte die Feier abgesagt hatte; Robert Fähmel essen oder trinken zu sehen, wäre ihr wie eine Entweihung vorgekommen; ängstlich dachte sie an das Bauvorhaben x 5; das war nichts Privates, war auch nicht ›Haus für einen Verleger am Waldrand‹, nicht ›Haus für einen Lehrer am Flußufer‹; x 5 - sie wagte kaum, es zu denken, so geheim war's, lag tief im Stahlschrank; ihr stockte der Atem, hatte er nicht sogar mit Kanders fast eine Viertelstunde deswegen telefoniert? Sie hatte Angst.
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    Immer noch zerrte Gretz an dem Keiler herum, bekam das gewaltige Tier nur ruckweise über die Treppe; ein Bote mit einem riesigen Blumenkorb klingelte am Druckereitor, der Pförtner erschien, nahm den Blumenkorb in Empfang, schloß das Tor wieder; enttäuscht blickte der Bote auf das Trinkgeld in seiner flachen Hand; ›ich werde es ihm sagen‹, dachte sie,
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