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Bilder von dir: Roman (German Edition)

Bilder von dir: Roman (German Edition)

Titel: Bilder von dir: Roman (German Edition)
Autoren: Kate Racculia
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mit einem Löffel?«
    »Raus«, sagte sie. Sie wurde entsetzlich rot, spürte es und hasste es, hasste es, hasste es – hasste ihren blöden Körper und dieses blöde Blut. Sie schubste Wendy heftig. Er hielt seine Arme in einer Nicht schießen! -Geste hoch und wich zurück, bis er die Veranda erreicht hatte.
    »Wir sehen uns«, sagte er, »Sitzender Löffel.« Dann stieß er kichernd die Verandatür auf. Zum ersten Mal, seit sie dieses Wort für sich in Beschlag genommen, aus persönlichem Stolz vereinnahmt hatte, spuckte Oneida es als keuchenden Fluch aus, während sie zusah, wie Wendy verschwand.» Freak «, sagte sie.
    Keine halbe Stunde später brach das Unwetter los. Strömender Regen lief über die Fenster des Darby-Jones, platschte auf die Simse, überflutete die Einfahrt und tropfte in einen blauen Topf auf der Veranda, den Oneida ständig ausleeren musste. Sie schüttete einen weiteren Topf durch die Tür aus und kehrte dann zu der quietschenden rosa-orange gestreiften Strandliege zurück, auf der sie am besten nachdenken konnte, weil sie dort zwischen Gartenstühlen, Kühlboxen und einem gesprungenen Blumenübertopf, den sie in der ersten Klasse mit missgestalteten Stiefmütterchen bemalt hatte, von der Umtriebigkeit des übrigen Hauses verborgen war. Sie hatte Band E aus der Reihe alter Folianten der World Books aus dem Arbeitszimmer mitgenommen. E gehörte zu ihren Lieblingen (Einstein, Elektrizität, Elefanten), aber heute war ihr Interesse daran etwas getrübt. Sie war ein einziges Nervenbündel: wegen Andrew Lu, wegen Eugene Wendell und auch wegen des Unwetters, unter dem die Veranda erschauderte und stöhnte.
    Sie mochte nicht gefoppt werden. Mochte es nicht, dass Wendy es witzig fand, sie zu ärgern, weil … warum eigentlich? Wurde sie tatsächlich hysterisch , wenn sie sich ärgerte? Aber mit Frotzeleien umgehen, das konnte sie. Womit sie nicht umgehen konnte, waren Geheimnisse, und Andrew Lu war ihr ein absolutes Rätsel, so unergründlich wie die chinesischen Zeichen, die sie ihn auf den Umschlag seines Schulhefts hatte kritzeln sehen. Ein Echo der Stimme, derer sie sich mit zwölf entledigt hatte, meldete sich: Warum sollte er dich mögen? Warum sollte Andrew Lu, der schön und brillant ist und nach Kokosnuss und Kaffee duftet, den Fremde anlächeln, wenn er durch einen Saal geht, der vermutlich Sushi mit echten Stäbchen gegessen hat und schon weiter als bis nach Syracuse gekommen ist – warum sollte er dich mögen?
    Es war eine Frage, deren Beantwortung sie sich schuldig bleiben musste, also schlug sie die Enzyklopädie zu, drehte sich auf die Seite und sah dem fallenden Regen zu. Der Wind blähte die Sichtblenden der Veranda wie Segel, und Oneida fröstelte es in dem leichten Sprühnebel. Es war noch nicht einmal vier Uhr, aber es war dunkel, und die Dunkelheit machte sie müde und erschöpft. Sie schloss die Augen. Und sah das gelbe Taxi, das über die Einfahrt des Darby-Jones rollte, erst, als es so nah war, dass sie das Knirschen der Reifen auf dem lockeren Kies hören konnte – bei dem Regen ein Geräusch wie zu Popcorn aufplatzende Maiskörner. Anfangs glaubte sie zu träumen. Außer im Fernsehen hatte sie noch nie ein Taxi gesehen, in Ruby Falls gab es keine Taxis. Man konnte die gesamte Ortsmitte zu Fuß ablaufen, vorbei an Einkaufsmarkt, Postamt, Reinigung, Tankstelle, Bibliothek, Milky Way Bar und Rathaus, und alles in etwa fünfzehn Minuten. Ein Streifen aus Karos zog sich von der Kühlerhaube des Wagens bis zum Kofferraum. Behutsam reckte sie den Hals, der noch immer schmerzte, weil sie vor Wendy zurückgezuckt war, und beobachtete, wie das Auto um die Vorderfront des Hauses herum verschwand. Keine fünf Minuten später hörte sie, wie ihre Mutter den Riegel des Haupteingangs aufschob und den Passagier im Flur begrüßte.
    Na toll , sagte sie sich. Schon wieder so was Rätselhaftes .
    Sie blieb still auf der Veranda sitzen. Hörte, wie ihre Mutter mit ihrer kratzigen Altstimme den neuen Mieter willkommen hieß, ihn bat, seinen Mantel abzulegen, und ihm sagte, er solle seine Taschen am Fußende der Treppe abstellen. Dann begann Mona mit ihrer Standardführung durch das Darby-Jones, wobei ihre Stimme näher kam, während sie sich durch die wichtigsten Gemeinschaftsräume vorarbeitete – die Eingangsdiele, das Esszimmer, wo Eleanor Roosevelt einst einen Milchshake getrunken hatte, den Fernseher im Arbeitszimmer und die Bibliothek, vorbei am hinteren Büro (nicht zugänglich
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