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Bilder von dir: Roman (German Edition)

Bilder von dir: Roman (German Edition)

Titel: Bilder von dir: Roman (German Edition)
Autoren: Kate Racculia
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knusperte, wobei ihre Lippen vom Salz runzelig wurden. Jetzt kam ihr wieder in den Sinn, wohin sie unterwegs war, und das führte natürlich auch zu der Erinnerung, wo sie gerade herkam, und sie dachte an Mona, die bestimmt eine Heidenangst bekommen hatte, als sie entdeckte, dass sie einfach – weg war .
    Warum sie es getan hatte, wusste sie selbst nicht. Sie war zeitig aufgewacht und wusste, heute war der Tag (oder besser gestern war der Tag; sie saß inzwischen bestimmt schon an die vierundzwanzig Stunden in diesem Bus), und wenn man etwas mit derartiger Gewissheit wusste, dann nützte es nichts, so zu tun als wüsste man es nicht, genauso, wie es nichts brachte zu warten. Welcher Tag war überhaupt, der Achtzehnte? Sie schraubte ihren Füllfederhalter auf und schrieb 18. August 1993 an den oberen Rand der Postkarte, wo die Briefmarke hingehörte. Magen, Knie und Hintern taten ihr weh, und sie war dankbar für ihren Fensterplatz, obwohl es dunkel war und es nicht viel zu sehen gab. Sie presste ihre Stirn an die kühle Scheibe.
    Sie überlegte, dass sie sich inzwischen vermutlich in Indiana oder auch in Kansas befand. Hollywood rückte immer näher. Ihre Zukunft rückte näher. Die Welt zog flimmernd vorbei und spulte sich ab wie die Rolle eines noch nicht entwickelten Films.
    Die Dunkelheit des Busses mit seiner Enge und seiner Wärme erinnerte sie daran, wie sie mit ihrem Vater im Dunkel eines Kinos an der Promenade gesessen hatte, es schien ihr eine Ewigkeit her zu sein: Es war der Sommer, bevor er starb, sie war vier, und er nahm sie an einem Regentag, als es zu kalt war, um an den Strand zu gehen, mit, um sich Kampf der Titanen anzusehen. »Das ist Ray Harryhausens Meisterwerk«, hatte er ihr zugeflüstert. »Wenn du die Skelette in ›Jason und die Argonauten‹ klasse fandest, dann warte, bis du den Pegasus siehst. Warte, bis die Medusa kommt. Warte, bis du den Kraken siehst.« Sie erinnerte sich, den Schokoüberzug von jedem Junior Mint gelutscht und dabei gedacht zu haben, wie komisch es war, dass auch hier Sand auf dem Boden lag, als könne der Strand sich einfach nicht zurückhalten, aber dann gingen die Lichter aus und sie vergaß die Minzbonbons und den Sand. Sie verließ komplett die Erde. Sie reiste zum Olymp. Sie ritt auf dem Rücken eines weißen geflügelten Pferdes. Sie wich vor der roten Todesrassel der Medusa zurück und glotzte den gewaltigen Meerestitan an, den Kraken, als dieser brüllend aus den Tiefen auftauchte, um seinen Anspruch auf die geopferte Andromeda geltend zu machen.
    Und er – Ray Harryhausen – hatte sie geschaffen! Hatte sie, so unwahrscheinlich das war, aus Draht und Ton und Plastik und Federn gebaut, gebaut und in Gang gebracht, ihnen Verlangen und Seelen gegeben. Genau betrachtet war Harryhausen der einzige Gott, den sie je zu verehren gelernt hatte. Er schuf in seinen Filmen eine Welt, die sie in ihren Bann zog, sie begeisterte, ihr das Gefühl gab, zu Hause zu sein. Es war eine Welt, nach der sie ihr ganzes Leben lang gesucht hatte.
    Sie konnte bereits die Tür sehen, nur ein Stück weit die Straße hinunter, die darauf wartete, dass sie eintrat.
    Sie setzte sich auf und griff nach ihrem Füller.
    Wie auch immer, ich habe dir die besten Teile von mir zurückgelassen, schrieb sie. Du weißt, wo du nachsehen musst .
    Mehr gab es nicht zu sagen.

Teil I

1 Nichts wie weg
     
    Arthur Rook wusste nichts.
    Er wachte am Freitagmorgen auf, als Amy sich aus dem Bett wälzte, aber das Plätschern der Dusche sang ihn wieder zurück in den Schlaf. Als sein Wecker um sieben Uhr summte, wurde er erneut wach, rasierte sich, zog sich an und machte für sich und Ray Harryhausen, den Kater, Frühstück. Dann stellte er sich an den Rand des Gehwegs vor seinem Apartmentkomplex in Toluca Lake, nördlich von Hollywood, um auf seine Mitfahrgelegenheit zur Arbeit zu warten. Wie jeden Morgen empfand Arthur, der in Boston aufgewachsen war, Los Angeles kälter als in der Vorstellung, die er von L. A. gehabt hatte. Er blinzelte in die Sonne und presste seine verschränkten Arme fest an sich. Der Hauch seines Atems zeichnete sich in der Luft ab. Langsam sollte Max Morris auftauchen, hoffentlich mit Kaffee und vielleicht auch mit diesen kleinen hausgemachten Donuts, die Max’ Lebensgefährte Manny machte, Max jedoch nicht mochte, es aber auch nicht übers Herz brachte, dies zuzugeben. Manny bestückte die Donuts mit kleinen Zetteln – immer mit einem Wortspiel (»Ich hab dich zum Fressen
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