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Bilder von A.

Titel: Bilder von A.
Autoren: Carl Hanser Verlag
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er manchmal auch zu. Einmal schrieb er:
    »Es kommt mir so vor, als ließe ich mich nie auf etwas wirklich ein, auch nicht auf meinen Beruf, dem etwas Versuchsweises und Unernstes anhaftet, und mein ganzes intellektuelles Gehabe dient nur dazu, die Dinge von mir fernzuhalten. Als schlimmsten, geradezu verbrecherischen Zug kommt es mir dann dazu noch vor, als könnte ich auch nicht lieben. Nicht, daß ich nicht wüßte, was das ist, bedingungslos, ohne Sicherheit; ich liebe die Liebe, aber lieben kann ich wohl nicht. Genausogut könnte ich auf den Balkon treten mit der Absicht zu fliegen. Ich bin überzeugt, daß das der kann, der einfach losfliegt, ohne lange zu fragen, ob das nach den Naturgesetzen auch geht. Das ist es: ich kenne die Naturgesetze. Du kennst sie, glaube ich, nicht so gut.«
    A. ist jetzt tot.

 
    A. sprach sehr laut und lachte sehr laut und noch lauter, wenn er einen Raum betrat, in dem schon Menschen saßen, also zum Beispiel ein Restaurant, und weil ich auch laut spreche und wir immer viel zu reden hatten, als wir noch beide in Ostberlin lebten und an unserem Kleist-Projekt arbeiteten, flogen wir dauernd aus den Restaurants raus, aus dem Restaurant Unter den Linden , aus dem Moskwa , aus dem Berolina , aus dem Operncafé , viel mehr Restaurants gab es damals ja nicht, wenn es nicht die Kantine des Berliner Theaters sein sollte, und die sollte es nicht sein, weil wir unser »Verhältnis« vor den Kollegen vom Theater geheimhalten wollten, obwohl sowieso ganz Berlin darüber auf dem Laufenden war, jedenfalls die kleine Berliner Theaterwelt; einer meiner Freunde behauptete, es stehe sogar schon ganz groß an der Autobahn auf dem Ausfahrtsschild nach Berlin. So viele Neuigkeiten gab es ja sonst auch nicht, und wer mit wem ist schließlich immer ein interessantes Thema.
    A. sprach und lachte nicht nur laut, sondern sang auch gerne laut, und als wir einmal das Weihnachtsoratoriumin einer Kirche anhörten, sang er die Choräle, deren Texte er auswendig kannte, ganz laut mit, was mir zuerst peinlich war. Er meinte aber ganz entrüstet, Johann Sebastian Bach habe diese Choräle doch schließlich zum Mitsingen komponiert, was denn sonst, und sang ganz laut weiter, und ich summte ein bißchen mit:
     
    Brich an, oh schönes Morgenlicht,
    Und laß den Himmel tagen!
    Du Hirtenvolk erschrecke nicht,
    Weil dir die Engel sagen,
    Daß dieses schwache Knäbelein
    Soll unser Trost und Freude sein,
    Dazu den Satan zwingen
    Und letztlich Frieden bringen!
     
    Wenig später schenkte er mir »Sämtliche von Johann Sebastian Bach vertonten Texte«, die gerade im VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig, erschienen waren, damit ich das nächste Mal auch den Text mitsingen könnte. Wenn wir manchmal sonntags einen Ausflug in die Berliner Umgebung machten, konnte A. an keiner Dorfkirche vorbeigehen, ohne sie sich aufschließen zu lassen, um auf der Orgel zu spielen. In der leeren Kirche konnte er dann so laut singen und spielen, wie er nur wollte, während mir die Zeit ein bißchen lang wurde, weil ich nicht spielte und nicht sang und trotz aller Bewunderung für Johann Sebastian Bach in den meist kalten Kirchen fror.
    Zudem war A. auch noch mit dem absoluten Gehörgesegnet oder geschlagen. Er war darauf sehr stolz und ließ es besonders die Musiker, mit denen er arbeitete, wissen, damit sie ja nicht dächten, er verstehe nichts von Musik. Dafür bereiteten ihm aber Mißklänge oder auch nur ein leicht verfehlter Ton geradezu körperliche Schmerzen, so daß er bei jedem quietschenden oder gerummsten oder sonst irgendwie unangenehmen Ton des täglichen Lebens schmerzlich das Gesicht verzog und entnervt stöhnte, Oh Gott, F! Nein, C! Als ich seine Leiden dabei einmal zu bezweifeln wagte, sagte er, das sei noch gar nichts im Vergleich mit seinen Schwestern, die litten schon bei dem Krach des Bügeleisens, wenn die Mutter damit im Nebenzimmer über den Stoff fuhr!
    A. ist jetzt tot.
     
    Auf dem zweiten Bild, das ich von ihm gemalt habe, hat A. den blauen Pullover an, den er bei unserer ersten Begegnung trug und der die blaue Farbe seiner Augen noch stärker hervortreten ließ, Preußischblau, das Blau, das am wenigsten Rot enthält. A. war ja ein Preuße, aus einem preußischen Kaff im Pommerschen, wie er es nannte, dessen Name noch nie jemand gehört hatte und wo man Plattdeutsch sprach, das A. natürlich auch beherrschte, er betrachtete es als seine erste Muttersprache, kokettierte damit und sagte mir manchmal Sätze, die
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