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Bilder von A.

Titel: Bilder von A.
Autoren: Carl Hanser Verlag
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dieser schönen Welt!
    Wir waren eben beide vom Theater.
     
    Als ich A. bei Valentin in der Bersarin-Straße kennenlernte und danach, in dem kurzen Jahr, in dem wir unser Verhältnis »Liebe« nannten, hatte A. diese Frau. Er wohnte jedoch allein, in einer kleinen Wohnung in der Nähe der Jannowitzbrücke.
    Er sagte, auch Fluchttiere können lieben, sie sind nur keine Nestbauer. Ich war zwar kein Fluchttier, schon wegen meiner zu kurzen Beine, aber ich hatte mich mein ganzes Leben lang wie jemand gefühlt, der aus dem Nest gefallen und deshalb selber völlig unfähig zum Nestbauen ist, schon gar nicht mit einem Fluchttier.
    A. sagte, wir wollen uns gegenseitig nichts fragen und nichts aufbürden. Also fragte ich nichts und habe diese Frau nie kennengelernt. Später hatte er eine andere Frau, deren Namen ich Gott sei Dank nie erfahren habe, und noch später eine dritte. Die habe ich ein bißchen kennengelernt, als ich viele Jahre später im Westen in der Stadt ankam, in der A. gerade am Theater engagiert war und mit dieser Frau lebte. Ich hielt mich dort drei Wochen auf, um den Wisch, mit dem man mich aus der DDR und ihrer Staatsbürgerschaft »entlassen« hatte, gegen einen Paß der Bundesrepublik Deutschland einzutauschen, gemäß deren Alleinvertretungsanspruchs für alle Deutschen, bevor ich weiterfuhr, um mich in einem Land einzurichten,dessen Sprache ich erst lernen mußte. A. hat mir damals angeboten, mich an sein Theater zu holen, falls mich das interessieren würde und ich mich entschließen könnte, in Deutschland zu bleiben. Aber das war nicht der Fall, mein Entschluß auszuwandern stand fest, und das wußte er, auch wenn er es nicht guthieß.
    Er hatte die Frau gebeten, mir zu helfen, und sie brachte mich im Haus ihrer Eltern, die gerade verreist waren, unter, so daß ich nicht in ein Durchgangslager für DDR-Flüchtlinge mußte. Sie füllte den Kühlschrank für mich und zeigte mir, wo Handtücher und Bettwäsche lagen, und sie gab mir viele gute Ratschläge, chauffierte mich in der Stadt herum und half bei den Behörden und Formalitäten. Wir freundeten uns dabei richtiggehend an. Aber nie trafen wir uns zusammen, zu dritt, A. und ich und die Frau. Das nie. Einmal lud er mich in ein Restaurant zum Abendessen ein. Nur wir. Nur wir beide. Nicht daß wir irgend etwas besprochen, uns gegenseitig an etwas erinnert hätten, weißt du noch, was macht eigentlich der und die, oder gar Fragen über unser Leben gestellt hätten und was wir glaubten, wie es jetzt weitergehen würde. Nein. Natürlich nicht. Es war, als wenn es uns mehr um die Nähe des Atems als um den Laut ging, wie Kleist sagt, von dem wir schließlich beide jede Zeile kannten.
    Dann brachte er mich nach Hause, zu der Wohnung, in der seine Frau als Kind gelebt hatte. Wir drückten uns um den Abschied. Schließlich fragte er, willst du denn das wirklich.
    Ich fragte, was.
    »Wirklich weg.«
    Ich beschwichtigte. »Was heißt denn wirklich weg. Es gibt ja Bahnen und Flugzeuge und keine Reisebeschränkungen wie in der DDR.«
    »Vielleicht wirst du auch nicht immer da bleiben.«
    »Ja, vielleicht werde ich auch nicht immer da bleiben.«
    »Wir werden uns schreiben.«
    »Wir werden uns schreiben, natürlich.«
     
    Viele Jahre später bin ich dieser Frau einmal unerwarteterweise in einer ganz anderen Stadt auf der Straße wiederbegegnet. In dieser Stadt, Braunschweig vielleicht oder irgendeine andere mittlere deutsche Provinzstadt, in der ich zu einer Lesung in der Stadtbibliothek eingeladen war und die ich vorher noch nie betreten hatte, war sie nun mit einem Arzt verheiratet. Sie erkannte mich, rief mir »Hallo, was machst du denn hier« zu und fragte mich gleich nach Neuigkeiten von A., sie sei nun schon jahrelang von ihm getrennt und habe gar keinen Kontakt mehr, wisse nichts, höre nichts. Mich fragte sie! Ich sagte, Neuigkeiten, o ja, die habe ich, denn wir schreiben uns ja regelmäßig Briefe, unterhalten eine Korrespondenz. Und ich übertrieb das wenige, das ich von A. wußte, erfand noch ein paar Neuigkeiten dazu und gab mich einer süßen kleinen, billigen Rache hin, nicht an ihr, nein, am Schicksal. Ich verstand, daß es also schon etwas Besonderes war, daß ich mit A. dem Fluchttier noch in irgendeiner Verbindung lebte, einer Verbindung, die nicht abgerissenwar. Aber natürlich wußte ich auch nie, wie lange sie halten würde und wovon das abhing, denn A. glaubte wohl wie alle Fluchttiere, immer in der Deckung leben zu müssen. Und das gab
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