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Bilder von A.

Titel: Bilder von A.
Autoren: Carl Hanser Verlag
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entsprächen den Spaltungen, denen wir uns damals selbst ausgesetzt sahen, der Unmöglichkeit, mit uns selbst und der Welt, in der wir lebten, eins zu sein. Weil uns dieser Schmerz in Kleists Stücken gewissermaßen entgegensprang, sahen wir ihn stets als einen von uns, als unseren Genossen an.
     
    Wenn man am Theater reüssieren, wenn man am Theater nicht untergehen will, dann muß man es mit völliger Hingabe und stärker als alles auf der Welt lieben, in dem Moment, wenn die Scheinwerfer angehen und der rotsamtene Vorhang auf- und zurauscht, irdisches, wenn nicht himmlisches Glück empfinden und süchtig sein nach dem Staub des Bühnenbodens, der dabei aufwirbelt. Man muß in eine mystische Union eintreten könnenzwischen dem Diesseits der undeutlichen Gassen der Seitenbühne, aus der die Knöpfe des Inspizientenpults in Rosa, Hellgelb und Blau blinken und leuchten, und dem Jenseits des dunklen Zuschauerraumes, aus dem man zunächst nur undifferenzierte Geräusche und endlich dann den Beifall hört. Und man muß der Verschworenheit und Rivalität des Ensembles gewachsen sein und ab und zu, wenn die Spannung nachzulassen droht, losbrüllen können, eine Tür zuknallen oder sich sonst irgendwie aufspielen, bis irgend jemand zu heulen anfängt.
    Im Gegensatz zu mir war A. der Mann, der alle diese Qualitäten besaß und zu alldem fähig war, er konnte sogar den »Chef« geben, und aus genau dieser Mischung, aus Phantasie, Inspiration und Musikalität, aus Herumkommandieren, Schreien und Türenknallen besteht das Genie des Theaterregisseurs. Die Zuschauer applaudierten A.s Inszenierungen wegen ihrer originellen und sensiblen Lesart bekannter und unbekannter Texte, ihres poetischen Ausdrucks und ihrer politischen Gewagtheit und klatschten die Schauspieler am Ende der Aufführung zu »vielen Vorhängen« heraus, wie es in der Theatersprache heißt. Und jeder neue Vorhang versöhnte das Ensemble mit all dem Heulen, Schreien und Türenknallen während der Proben. So ist das am Theater.
    Vielleicht war meine Liebe zu A. gerade dieser großen Distanz geschuldet, nicht nur der Distanz der Jahre. Aus einer unbestimmten Kunstsehnsucht suchte ich in ihm den Meister, von dem ich Bestätigung und Ermutigung erfahren, von dem ich lernen und an den ich mich anlehnenkönnte. Doch ich ging in dieser ungleichen Verbindung wohl auch dem Kräftemessen und Aneinander-Wachsen unter Gleichen aus dem Weg.
    In der Inszenierung unserer Liebe waren die Rollen klar verteilt: A. gab den Meister, wenn auch mit understatement , denn ein Angeber war er wirklich nicht, das wird ihm keiner nachsagen können, und ich gab die Schülerin, die junge Geliebte und Muse. Vermählung, Offenbarung und Erlösung suchten wir beide – in der Kunst. So romantisch waren wir.
    Kurz nachdem wir uns kennengelernt hatten, war A. vierzig geworden. Das fanden wir damals sehr alt und sehr komisch und lachten über so ein hohes Alter. »Das ist ja wie hundert!« Und dann sagte er plötzlich, nun bin ich schon älter, als mein Vater je war. Aber mehr sagte er nicht, wir lachten weiter und aßen weiter Vanillekipferln, die ich zur Feier dieses Tages für ihn gebacken hatte, nach einem Rezept meiner Mutter, echt wienerisch. Damals kannte er Wien noch nicht und meine Mutter noch nicht, es ist sehr lange her.
    A. ist jetzt tot.

 
    Weder am Anfang noch je danach hat A. einmal zu mir gesagt, bleib bei mir, laß uns zusammenbleiben. In irgendeiner Form. Es ist schwer mit dir, und mit mir ist es auch schwer, aber wir können es ja versuchen.
    Oft gestanden wir uns jedoch, daß wir uns liebten. Manchmal jedenfalls gestanden wir uns das und waren uns einig, daß wir jedenfalls nicht an die Anziehung der Gegensätze glaubten und nur jemanden lieben könnten, der so wäre wie wir selbst, uns ähnlich, in dem wir uns wiederfänden, uns verdoppelt, vervielfacht sähen. Dabei hielten wir es nicht einmal mit uns selbst wirklich gut aus.
    Und dann sagten wir auch immer an den grauen Tagen, wenn es regnete und alle Leute sich über das schlechte Wetter beklagten, ach, da fühlen wir uns endlich verstanden, wenn die Wolken so tief und schwer hängen wie unsere Melancholie, und nicht verhöhnt wie an den Tagen, an denen die Sonne am blauen Himmel scheint und alles blüht und grünt und Früchte trägt und die Wiesen voller Veilchen stehen. Da lamentierten wir statt dessen wieKarl Moor in den Räubern : Ja, Freunde, diese Welt ist so schön! Diese Erde so herrlich! Und ich so häßlich auf
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